Presseschau Westeuropa

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Freiwilliges Engagement in den Niederlanden

Wohl mehr als in den meisten anderen Ländern gibt es im Nachbarland eine Kultur des Ehrenamtes. Die Stadt Deventer steht beispielhaft dafür, wie Rainer Nübel in seiner Reportage schreibt: Etwa 40 Prozent der Einwohner beteiligen sich an den vielfältigen Projekten. Dabei muss dieses Engagement keineswegs altruistisch sein. Vielmehr profitieren auch die Freiwilligen davon, bekommen Anerkennung und finden Sinn in ihrer Tätigkeit. So wird die Hilfe gelegentlich auch zur Selbsthilfe.

Aufstand der „Surplus-Bevölkerung“

Die Psyche der gewalttätigen Jugendlichen in Großbritannien im Blickpunkt

Als in London Anfang August ein farbiger Mann von Polizisten erschossen wurde und dessen Familie von der Polizei keine Auskunft zu den genaueren Ursachen der Erschießung erhielt, kam es zu spontanen Demonstrationen im Stadtteil Tottenham. Diese eskalierten bald: Zahlreiche Jugendliche legten Feuer, plünderten und zerstörten Geschäfte. Die Reaktion der Polizei war harsch. Der britische Premierminister Cameron sprach von einer moralisch verwahrlosten, anstandslosen Jugend, gegen die man mit kompromissloser Härte vorgehen müsse, Aufnahmen von Tätern wurden auf öffentlichen Großbildleinwänden gezeigt.

Seriöse Ursachenforschung wurde von großen Teilen der Gesellschaft und Medien – auch in Deutschland – nicht betrieben. Ein differenzierteres, wissenschaftlich fundiertes Bild der Ursachen der Gewalteskalation zeichnen der Sozialwissenschaftler und Gefängnispsychologe Götz Eisenberg und der Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer, indem sie die Auswirkungen von Arbeitslosigkeit, Armut und Ausgrenzung aus sozialpsychologischer Perspektive in den Blick nehmen.

Kürzung und Krawall

Sozialkürzungen sind eine Ursache der Ausschreitungen in London
"Tottenhams Gedächtniskirche": Ausgebranntes Gebäude in London
"Tottenhams Gedächtniskirche": Ausgebranntes Gebäude in London Bild von Patrick van IJzendoorn

Mit den Ursachen der Unruhen beschäftigen sich zwei Autoren der Süddeutschen Zeitung: Sie erkennen in ihrer quellenreichen Analyse einen Zusammenhang zwischen dem umfassenden Sparpaket der Regierung Cameron und der sozialen Armut in migrantisch geprägten Bezirken. Ein Parlamentarier hatte auf die Gefahr hingewiesen, daß die gekürzten Sozialbudgets zu einem Rückfall in die 1980er-Jahre führen könnten, in denen London mehrfach von Ausschreitungen betroffen war. London ist eine der Städte mit der größten sozialen Ungleichheit in Europa. Die Plünderungen deuten darauf hin, daß die Jugendlichen auf diese Weise das Konsumversprechen einlösen, von dem sie ansonsten ausgeschlossen sind. Das Sparpaket der britischen Regierung ist der größte Haushaltseinschnitt in Westeuropa, der bereits seit längerem zu radikalen Protesten von verschiedenen sozialen Gruppen – wie Studenten – geführt hat.

Ein politisches Erdbeben

Der Skandal um die auflagenstärkste englische Sonntagszeitung stellt das politische System in Großbritannien in Frage
Heute ein Medienzar
Heute ein Medienzar Bild von World Economic Forum

Keith Rupert Murdoch steht einem der weltweit größten Medienimperien vor: Er begann den Aufbau in Australien, setze diesen in Großbritannien fort, wo seine News Corporation mit Zeitungen und Fernsehen über eine gewaltige Marktmacht verfügt. In den USA besitzt Murdoch mit dem ultra-rechtskonservativen Sender Fox News einen von vier US-weiten Nachrichtenfernsehsendern sowie ein Hollywood-Studio. Die Geschichte vom Aufstieg in Großbritannien ist das Ergebnis einer Symbiose von Medien und Politik. Diese Allianz war auch gemeinsam im Kampf gegen die vormals mächtigen Gewerkschaften aktiv. Christian Bunke rollt auf Telepolis diesen historischen Aspekt auf. Murdoch hat nicht nur den Premierminister David Cameron gefördert, sondern auch Tony Blair. Die Verbundenheit mit dem Polizeiapparat rührt aus der Zeit des Kampfes gegen die Macht der Gewerkschaften her. Weiterlesen … »

Meine Stadt, Deine Stadt

Das Phänomen urbaner Aufwertung im internationalen Vergleich
Alte Brachen und neue Bauten im Londoner Hackney Wick
Alte Brachen und neue Bauten im Londoner Hackney Wick Bild von Emily Webber

Ein Trend eint viele europäische Metropolen: Künstler nutzen brachliegende oder verarmte Stadtviertel als günstigen Wohn- und Arbeitsraum. Durch den kreativen Charme werden diese Quartiere für Investoren erst interessant. Deren Spekulation mit und Investitionen in den Stadtraum führen zu sprunghaften Mietsteigerungen. Am Ende können sich weder die Künstler noch die ansässige Bevölkerung die Mieten noch leisten. Die Künstler ziehen in ein anderes Viertel und das Spiel beginnt von vorn. Claudia Dejá hat auf Arte in einer knappen Stunde einen Vergleich zwischen London, Paris, Hamburg und Berlin gezogen. Dieses als Gentrifizierung bezeichnete Phänomen wird zur Zeit heiß diskutiert. Der Beitrag ist anschaulich, läßt jedoch analytische Tiefe vermissen. Weiterlesen … »

Schwarz ist weiß

Rechter Geschichtsrevisionismus in Spanien

In 50 Bänden und mehr als 40.000 Artikeln stellt der neue »Diccionario Biografico Español« wichtige Persönlichkeiten der spanischen Geschichte vor – kofinanziert durch Steuergelder. So weit, so gut. Doch jetzt ist eine Debatte darüber entbrannt, wie einzelne Personen vor allem des noch immer im kollektiven Bewusstsein präsenten Bürgerkriegs und der anschließenden faschistischen Diktatur dargestellt werden. Allen voran der Diktator Francisco Franco selbst.

Die Vorwürfe reichen von Verharmlosung der einen, rechten Seite bis zur Verteufelung der anderen, den linken Verlierern des Krieges. Werner Perger fragt sich, warum dieses Phänomen der Geschichtsrevision gerade heute in vielen Ländern Europas zu bemerken ist. Ähnliche Tendenzen sieht er in Ungarn, Frankreich, Italien und Österreich.

Opfer der Marktlogik

Geisteswissenschaften in England
Alte Tradition: Universität von Cambridge
Alte Tradition: Universität von Cambridge Bild von Elin B

Die Autonomie der Wissenschaft ist zu Recht ein hohes Gut. Um dieses zu gewährleisten, sorgt der Staat für eine angemessene finanzielle Grundlage, ohne auf die Inhalte und Forschungsvorhaben Einfluss zu nehmen. Das soll aber jetzt in England anders werden.

Die Evaluation der Qualität von Forschung läuft dabei nach standardisierten Methoden. Ein wichtiges Kriterium ist die quantitative Erfassung der Publikationshäufigkeit. Das gilt für alle Wissenschaften gleichermaßen – egal ob Philosophie, Mathematik oder Chemie. Eine Folge dieser Politik ist die Orientierung auf kurzfristige, schnelle Erfolge statt mutiger, innovativer Vorhaben. Die allgemeine Marktorientierung, die nach einem aktuellen Gutachten zur Grundlage der Wissenschaftspolitik werden soll, führt dabei unweigerlich zu einem Verkümmern der Geisteswissenschaften zugunsten der ökonomisch verwertbaren Naturwissenschaften.

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