Herrschaftsinstrument Verfassungsschutz
Ein Panorama der Absonderlichkeiten erblickt der Betrachter im Kaleidoskop des NSU-Skandals. Dieser Komplex erweitert sich mittlerweile über die Frage einer Mordserie und der Verstrickung von Behörden hinaus. Gerade als die Innenminister ein neues NPD-Parteiverbotsverfahren beabsichtigen, erschüttert eine Meldung die skandalerprobte Öffentlichkeit. Durch einen MDR-Bericht wird aufgedeckt, mit welchen Methoden der »Verfassungsschutz« arbeitet: Der Erfurter NPD-Chef Kai-Uwe Trinkaus wurde vom Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz als V-Person »Ares« geführt. Mit ausdrücklicher Billigung der Behörde schleuste er ein Mitglied seiner Partei als Spitzel bei der Fraktion der Linkspartei in Thüringen und bei den Jusos ein. Die NPD agiert somit als verlängerter Arm des Verfassungsschutzes beim Ausspionieren von Parlamentariern. Weiterlesen … »
Verfassungsschutz gegen Zivilgesellschaft
Trotz des laufenden Skandals um den Verfassungsschutz plant die Bundesregierung, dessen Machtbefugnisse zu erweitern: Er soll zum Richter über die Zivilgesellschaft werden, indem durch die Einschätzung des Inlandsgeheimdienstes von Vereinen und Organisationen als »extremistisch« die Gemeinnützigkeit aberkannt wird. Der Freitag legt dar, daß den betroffenen Organisationen durch die Gesetzesänderung nur ein langer Klageweg bleibt – die Einschätzungen sind jedoch zumeist willkürlich, denn die Definition von Extremismus ist schwammig und nicht wissenschaftlich fundiert. Als Resultat führt eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht ins finanzielle Abseits.
Eine Ballade voller Ungereimtheiten
Ein Bericht, den Andreas Förster für die Berliner Zeitung und die Frankfurter Rundschau verfasste, könnte den Fall um den NSU zu einer unverhofften Wendung führen: Denn nach einem geheimen Report des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfVS) an den Generalbundesanwalt (GBA) vom Dezember 2011 hat das Amt gemeinsam mit dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) und dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) von 1997 bis 2003 die »Operation Rennsteig« durchgeführt. Im Rahmen dieser, nach einem populären Thüringer Wanderweg benannten, Operation wurde der Thüringer Heimatschutz (THS) unterwandert, in dem die drei Dienste über zehn Informanten verfügten. Daher stellten einige Abgeordnete der Untersuchungsausschüsse die Frage, ob die drei Dienste den THS steuerten, welcher dann zur Keimzelle des NSU wurde. Für Empörung sorgte der Hintergrund, daß zu dem Vorgang vom BfVS nicht nur 2011 ein Teil der Akten vernichtet wurden, sondern auch der Schäfer-Kommission, die jüngst ihren Report zum Versagen der Behörden vorlegte, diese Information vorenthalten wurde. Weiterlesen … »
Sabotage oder Scheitern?
Ein halbes Jahr ist mittlerweile seit der Aufdeckung des rechtsradikalen Terrorismus des NSU in Deutschland vergangen. Seitdem wurden viele Mosaiksteine des Falls enthüllt. Doch in diesem Prozess bleibt unklar, inwieweit die zumeist geheimen Informationen gezielt in den Medien lanciert werden, hier also eine gezielte Indiskretionspolitik betrieben wird, oder ob es sich um einen Versuch handelt, nachträglich Transparenz herzustellen. Umstritten bleibt auch die Frage nach den Gründen für das Scheitern der Ermittlungen. Zwei Berichte, die bei der Süddeutschen Zeitung1 und bei Frontal21 erschienen, erweitern das Augenmerk auf die Blindheit der Ermittlungsbehörden um eine neue Dimension.
So lassen Thomas Reichert und Ulrich Stoll im ZDF in nachgestellten Szenen erkennen, daß trotz eindringlicher Zeugenaussagen die Spur zu zwei Radfahrern an den Tatorten entgegen jeder Professionalität fahrlässig ignoriert wurde. Der Beitrag vermittelt den Eindruck, Spuren seien – auch über die Perspektive des nachträglichen Wissens hinaus – ungenügend verfolgt worden. Eben mit dieser Fragestellung beschäftigt sich auch die Süddeutsche Zeitung: So zeige ein internes Auswertungsschreiben über die Arbeit der »Soko Bosporus« die Zerstrittenheit der verschiedenen Ermittlungsbehörden. Demnach haben gerade fränkische Staatsanwälte und Ermittler mit nachdrücklicher Vehemenz der Spur zu Fahrradfahrern und in die rechte Szene entgegengewirkt.
- 1. Der vollständige Beitrag unter dem Titel »Neben der Spur. Anatomie eines Staatsversagens« ist nicht online erschienen, sondern in der Süddeutschen Zeitung vom 5.5.2012
Kind des Kalten Krieges
Wolfgang Gast richtet im Cicero sein Augenmerk auf den Verfassungsschutz; denn durch den Fall der aufgedeckten Mordserie steht die Frage im Raum, wie diese den Behörden entgehen konnte. Dem Autoren fällt wenig Schmeichelhaftes für den Dienst ein, der auf eine lange Pannenserie zurückblicken kann. Der Fehler liege in der Architektur:
Ihre Unfähigkeit, die Bedrohung von rechts genauso ernst zu nehmen wie die von links, erklärt sich aus der Geschichte der Dienste. Seit ihrer Gründung verstanden sich die geheimen Spionagejäger und Verfassungshüter als Soldaten des Kalten Krieges im geteilten Deutschland – und da saß der Feind eben links.
Besonders drängend sei dabei die Frage nach den V-Personen der Dienste. Diese haben das NPD-Verbotsverfahren verhindert und immer wieder die Grenze der Legalität weit überschritten. Die aktuelle Debatte durch die Untersuchungsausschüsse läßt Gast vorsichtig auf Reformen hoffen. Auch in den Diensten gab es Reformer, die aber kalt gestellt wurden. Die entscheidene kritische Erkenntnis des Autoren aber ist, daß der Verfassungsschutz ein Kind des Kalten Krieges ist.
Auslagerung
Die Auslagerung hoheitlicher Aufgaben in den Privatsektor dringt in den USA längst in den sensiblen Sicherheitssektor vor. An der Grenze zwischen Public Relation und Nachrichtendienst verdienen sich ehemalige Geheimdienstler eine goldene Nase mit Aufträgen, die sowohl von der CIA als auch aus der freien Wirtschaft kommen – die Rechtsgrundlage für die entstehende private Sicherheitsindustrie bleibt nebulös.
Einen kleinen Einblick in dieses Bindeglied zwischen privaten Interessen und staatlichen Lauschern bietet eine neue Veröffentlichung der internen Kommunikation des privaten Geheimdienstes Stratfor. Die WikiLeaks zugespielten Emails werden auch durch den NDR ausgewertet: Nach ersten Erkenntnissen nutzt der Dienstleister Methoden, die bislang CIA, BND oder dem MI6 vorbehalten waren. Denn Stratfor pflegt ein weltweites Quellennetz – für den Zugang zu Informationen werden keine Mittel gescheut. Dabei ist keineswegs neu, dass für heikle Missionen private Anbieter wie Blackwater vorgeschickt werden; wenn etwas schief läuft, liegt die Schuld eben bei dem Subunternehmen. Bereits 2010 hatte die Washington Post den gigantischen Sicherheitsapparat der USA kartographiert.
Stadtviertel im Visier
Nachdem die sächsische Polizei in Dresden bei einer Gegendemonstration gegen einen Naziaufmarsch im Februar 2011 sämtliche Mobilfunkdaten eines Stadtviertels durch eine sog. »Funkzellenabfrage« gespeichert hat, ist nun auch in Berlin ein solcher Fall bekannt geworden. Im Bezirk Friedrichshain wurden auf Anfrage der Staatsanwaltschaft und auf richterliche Anordnung hin seit 2009 die Daten von mindestens 13 Funkzellen ausgewertet. Ziel der Fahndung waren die in Berlin grassierenden Autobrandstiftungen. Andre Meister zeigt auf Netzpolitik den Umfang der Fahndung auf und stellt die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Denn die massenhafte Speicherung von Daten werde mit Terrorismus und schweren Straftaten begründet. Dies öffnet jedoch ein weites Fenster je nach Definition. Das Ausmaß der Datenerfassung bleibt bislang ungeklärt. Weiterlesen … »
- von 16
- nächste ›
- letzte Seite »