Presseschau Beitrag

Konservative und Fundamentalisten sind nicht das gleiche

Zum Wahlergebnis in Ägypten
Wahllokal in Ägypten
Wahllokal in Ägypten Bild von Jonathan Rashad

Die ersten freien Parlamentswahlen in Ägypten seit Jahrzehnten endeten im Januar. Der renommierte Nahost-Fachmann Olivier Roy sieht darin ein Aufbrechen der vorherrschenden politischen Kultur der letzten 60 Jahre. Wie zu erwarten war, triumphierten die sog. Islamisten (47% der Stimmen), sprich Kulturkonservative mit religiös unterfütterten politischen Vorstellungen. Weil sie jahrzehntelang vom politischen Geschehen in Ägypten ausgegrenzt wurden, besitzen sie große Glaubwürdigkeit bei den Wählern. Überraschend dagegen ist der Wahlerfolg der Salafisten (24,6% der Stimmen), also Fundamentalisten, die sich an ihrer Vorstellung, wie das Gemeinwesen zu Mohammeds Zeiten ausgesehen haben soll, orientieren. Dass sich diese Gruppe, die eigentlich parlamentarische Demokratie bzw. eine pluralistische Gesellschaft überhaupt ablehnt, gezwungen sieht, an den Wahlen teilzunehmen, um nicht in der Bedeutungslosigkeit zu versinken, spricht für die Verankerung demokratischen Denkens in der ägyptischen Öffentlichkeit.

Die Berichterstattung über das Wahlergebnis in westlichen Medien hingegen muss sich von Vorurteilen und Missverständnissen befreien. Viele Meldungen sprechen davon, dass Islamisten mehr als zwei Drittel der Stimmen geholt hätten und vermischen so Konservative und Fundamentalisten. Die der Muslimbruderschaft nahen Parteien sind konservativ, ähnlich der CSU in Deutschland, nur wirtschaftlich progressiver. Die Salafisten dagegen sind Fundamentalisten, die – zumindest theoretisch – den modernen Staat ablehnen. Das ist in etwa so, als würde man bei der Berichterstattung über Europa Mitte-Rechts-Parteien mit der Pius-Bruderschaft zusammentun. Ein weiteres Missverständnis ist die Mutmaßung, dass Demokratie Säkularismus voraussetzen würde. Selbst die eigene Geschichte Europas und Amerikas widerlegt das deutlich. Und schließlich sollten religiös motivierte Gegenströmungen gegen die Moderne nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Gesellschaften im Nahen Osten die gleichen unumkehrbaren sozialen Veränderungen durchmachen wie westliche Gesellschaften (z.B. höheres Heiratsalter, sich ändernde Rollenbilder, veränderter Medienkonsum u.v.m.). Diese religiös unterfütterten Reaktionen auf solche Veränderungen finden sich genauso in Europa und Amerika.