Magazin Beitrag

Begrenzter Einfluß

Ein Streiflicht auf die Netzöffentlichkeit vor der re:publica
re:publica 2009 in der Kalkscheune in Berlin <br/>Foto von Mark Max Henckel
re:publica 2009 in der Kalkscheune in Berlin Foto von Mark Max Henckel

Neue Medien ersetzen keine alten – sie verändern sie nur. Dies ist ein Lehrsatz der Medienwissenschaft. Die Einführung des Rundfunks hat die Zeitung verändert; vormals erschienen diese mehrmals am Tag. Das Internet als Nachrichtenmedium wirkt nun auf Rundfunk und Zeitung ein – die Konsequenzen sind spürbar. Doch welche Rolle spielen neben den Netzauftritten der etablierten Medien die Blogs und alternativen Projekte?

Zunächst stellt sich die Frage: Was ist überhaupt ein Blog? So genau ist das nicht definiert. Denn ein Weblog ist das, was die Autoren daraus machen; und sie zeigen keine Absicht, sich an Konventionen des Genres wie im klassichen Journalismus zu halten. Dennoch können einige Kriterien eingegrenzt werden. Die »öffentlichen Tagebücher« sind meinungsbetont – im Gegensatz zu informierenden journalistischen Darstellungsformen.

Tagebücher halten das zeitnahe Erleben fest; dieses Erleben wird bei Weblogs auf die Wahrnehmung im virtuellen Raum erweitert. Der Verweis auf Fundstücke im Netz ist aber – anders als in der klassichen Presseschau – nicht als eigene Form gekennzeichnet, sondern wechselt sich locker mit wirklich Erlebtem, Meinungsäußerungen zum Tagesgeschehen und Austausch zu Szenethemen ab.

Insofern werden bekannte Gattungen übernommen und neu gemischt: Der Blog ist Freistil, keine journalistische Darstellungsform. Ein analoger Vorläufer des Weblogs ist das Fanzine. Von einzelnen oder wenigen Zeitgenossen in geringer Auflage hergestellt, lieferte es Ansichten und Einsichten in unterschiedlichster Qualität zu spezifischen Themen. Dies waren mal kopierte Blattsammlungen einzelner Zeitgenossen, mal hochqualitative Erzeugnisse. Eine weitere Form alternativer Öffentlichkeit waren Piratensender.

Waren. Denn das Internet hat das Gros dieser Erzeugnisse geschluckt: Mit weniger Aufwand lassen sich weit mehr Leser erreichen. Mit einigem Bedauern erzählte mir ein bekannterer DJ und Herausgeber eines Fanzines in einem Interview das weitgehende Verschwinden dieser Publikationsform, an deren Stelle der Blog trat. Die Zyklen der Diskussionen in den Subkulturen seien dadurch kurzlebiger und oberflächlicher geworden.

Das rebellische Bewußtsein des Besonderen einer Subkultur ist dagegen erhalten geblieben: Viele sehen sich als »Gegenöffentlichkeit«; auf der anderen Seite stehen die »Massenmedien« oder »Mainstreammedien«. Ob dieses Avantgarde-Bewußtsein gerechtfertigt ist, bleibt fraglich. Denn die professionellen Medien unterscheiden sich drastisch – sowohl die Formate, die Medien, als auch die Autoren innerhalb eines Mediums. Exemplarisch deutlich wird dies an den Nachdenkseiten, die gegen »Meinungsmache« und »Mainstream« ins Feld ziehen, um dann in ihrer Presseschau genau auf diese Medien verweisen; nicht ohne pointiert die eigene Meinung zu präsentieren. Dennoch haben die Nachdenkseiten viele Themen angesprochen, die in dieser Form selten anderswo zu finden sind. Um jedoch wirklich von einer Gegenöffentlichkeit sprechen zu können, müßten alle Blogs zusammengenommen zumindest so viel eigene Inhalte produzieren wie eine größere überregionale Tageszeitung und zu den meisten Themen des Zeitgeschehens berichten. Davon, glaube ich, kann noch keine Rede sein.

Die Einfluß der Medien besteht jedoch nicht nur aus der Macht der Verleger. Neben der Marktmacht von Springer und Konsorten ist die leise und einflußreiche PR-Arbeit wie jene der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft des BDI oder der Bertelsmann-Stiftung eine Tatsache. Die Kritik der alternativen Medien daran ist nur allzu häufig recht pauschal. Es wäre an der Zeit, einen Zusammenschluß kritischer Blogger zu gründen, um in diesen Fragen präzisere Antworten zu finden und deutlichere Kriterien zu definieren. In Deutschland sind bis heute die Blogger keine ernstzunehmende Alternative zu den Medien geworden. Kaum ein Skandal wurde hier aufgedeckt; qualitative Berichterstattung findet nach wie vor in den klassischen Medien statt – Ausnahmen bestätigen die Regel. Dies mag auch daran liegen, daß es hierzulande noch kaum Finanzierungsmodelle für Online-Journalismus gibt. Nicht umsonst ist Telepolis dank des Heise-Verlages die große Ausnahme.

Sieht man von der Seite Carta.info und dem gescheiterten Projekt Netzeitung ab, ist Telepolis auch das einzige deutschpachige Medium, welches am ehesten als eine Zeitung im Netz bezeichnet werden kann. Beinahe umfassende Berichterstattung und exklusive Geschichten, welche in anderen Medien nicht zu finden sind, finden sich hier. Daneben versucht der Freitag, sich der Blogosphäre zu öffnen und sich als Organ der Netzöffentlichkeit zu etablieren.

Die Stärke der Blogosphäre liegt in dem, was im klassischen Print als Special Interest gelten würde – dazu zählen auch populäre Formate wie netzpolitik.org und zum Teil sogar carta.info, deren Schwerpunkt Debatten um die neuen Medien sind. Das Netz bietet jeder Nische eine Heimat; zu regionalen und speziellen Themen finden sich erstaunlich gute Angebote. Sieht man von den Netzauftritten der klassischen Medien ab, ersetzt die Blogosphäre jedoch keine alten Informationsangebote, bietet aber eine kritische Reflektion. Fehler, Täuschungen und Manipulationen haben es weit schwerer unentdeckt zu bleiben: Ein gutes Beispiel ist das gekürzte Interview des Thomas Roth mit Wladimir Putin, das promt im Internet in ganzer Länge auftauchte. Am deutlichsten wird diese »Wächterfunktion« an dem mittlerweile weit bekannten Bildblog.

Das Verhältnis von Blogosphäre als Kommentator der Medien hat rivva.de verstanden, und daraus einen innovativen Algorithmus zur Nachrichtensuche gebastelt. Neben den automatischen Nachrichtenaggregatoren wie Google News oder dem neuen Portal Nachrichten.de gibt es eine Vielfalt redaktioneller Presseschauen. Der Pionier ist hier sicher der Perlentaucher, auch wenn diese Seite ihrem Namen nicht unbedingt gerecht wird, da der tägliche Überblick im Zentrum steht und nicht das »Tauchen« nach besonders herausragenden Artikeln. Von deren Machern kommt auch das ursprüngliche Konzept für eurotopics, finanziert von der Bundeszentrale für politische Bildung. Leider sind die Lesehinweise hier fast nur aus Zeitungskommentaren zusammengestellt. Prominent und umfangreich sind auch die Hinweise des Tages der Nachdenkseiten. Diese beschränken sich allerdings sehr auf deutsche Sozial- und Wirtschaftspolitik und werden nicht zusammengefasst und kategorisiert. Den außenpolitischen Gegenpol stellt das Angebot der AG Friedensforschung Kassel dar. Auch hier wird man durch die schiere Menge an Links ein wenig erschlagen. Eine auf Community basierende Presseschau dagegen ist Yigg.de

Allerdings ist auch netzpolitik.org im wesentlichen eine Presseschau, obwohl dies nicht auf dem ersten Blick ersichtlich ist. Diese Seite ist allerdings auch eine der Ausnahmen, die durch exklusive Veröffentlichungen – meist in Sachen Datenschutz – Bekanntheit erlangten. Dazu zählen auch die Ruhrbarone, welche eine der investigativsten und professionelleren Blogs hierzulande betreiben. Interessant daran ist, daß Berlin und das Ruhrgebiet Zentren der Blogosphäre in Deutschland sind. Es mag kein Zufall sein, daß ehemalige Industrieregionen, die sich in Richtung neue Medien orientiert haben, eine solch starke Rolle spielen.

Blogs, welche anstelle von Verweisen auf eigene Beiträge setzen, lassen sich häufig zwischen dem reinen Kommentar und der meinungsbetonten Analyse unterscheiden. Zu den Analyse-Blogs zählen die interessanteren wie Carta.info, Fernlokal oder der Spiegelfechter. Die reine Meinungsäußerung dagegen ist häufig ermüdend. Diese Form stellt neben lokalen und thematischen Schwerpunkt-Blogs die überwältigende Mehrheit der Blogs dar. Dennoch ist auch die Kommentierung ein wertvoller Beitrag zur öffentlichen Debatte.

Der Blick über den Atlantik zeigt eine weit fortgeschrittenere Entwicklung. Insbesonders bei den Finanzierungsmodellen sind interessante Konzepte im englischsprachigen Raum enstanden. Neben den Investitionen in die oft genannte Huffington Post wird ProPublica durch Stiftungen finanziert, spot.us sammelt Geld für einzelne Beiträge vorher ein. Der direkte Vergleich mit der deutschsprachigen Blogosphäre ist jedoch unfair – ebenso wie es unfair wäre, diese mit der dänischen Blogosphäre zu messen, die nur einen Bruchteil an Sprechern dieser Sprache umfassen kann.

Der Weg zu einer alternativen Netzöffentlichkeit ist in den USA durch große und seriöse Medien entwickelter – auch dank neuer Finanzierungskonzepte. Möglicherweise ist das Vertrauen in die klassischen Medien in Deutschland auch ausgeprägter und eine Spendenkultur weniger verbreitet. Weit bedeutender ist das Potential jedoch in Ländern, in denen freie Meinungsäußerung nicht möglich ist oder die Medien in der Hand des Staates oder einiger weniger Verleger sind. Die Möglichkeiten für die Entwicklung einer Öffentlichkeit und freier Meinungsäußerung via Netz sind dort groß; es fehlt jedoch an einer Auswertung bisheriger Erfolge und einer realistischen Einschätzung der Risiken für die Blogger. Daß wirklich freie Medien auch in den westlichen Demokratien nicht gerne gesehen sind, hat zuletzt Wikileaks bewiesen. Veröffentlichungen über Machtpraktiken und Manipulationen rufen starken Gegenwind hervor.

Der jährliche Konvent der deutschen Blogger, die re:publica, steht nun bevor. Das wachsende Interesse an dieser Messe der Netzöffentlichkeit ist ermutigend. Sie ruft das Interesse vieler Journalisten hevor und hat nicht den schalen Geruch eines Treffens von Computernerds. Dennoch steht die Technikaffinität und der neueste Trend zu sehr im Vordergrund der Netzgemeinde. Eine stärkere Hinwendung zu der kulturellen Bedeutung der digitalen Revolution wäre wünschenswert.

Die Frage nach Nutzen, Möglichkeiten und Konsequenzen für unsere Gesellschaft sollte in einer langfristigen Perspektive gestellt werden. Dazu wäre eine Organisierung über einzelne Kongresse hinaus notwendig. Vergleichbar der neuen Organisation für freie Journalisten, Freischreiber, sollten die Blogger einen Raum schaffen, in dem über die Fragen einer alternativen Netzöffentlichkeit fortlaufend diskutiert werden kann. Dazu gehört auch die Frage nach journalistischer Qualität und eine bessere Kommunikation in der Blogosphäre. Neben neuen Finanzierungsmodellen wäre dies eine Basis für einen größeren Einfluß der Blogger in der Öffentlichkeit.