Magazin Beitrag
Irrungen, Wirrungen, Erbschaftssteuer
Gestern beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht mit der Erbschaftssteuer und prompt sorgen politische und publizistische Heckenschützen dafür, dass bloß niemand auf die Idee kommt, die 2.600 Milliarden Euro, die in diesem Jahrzehnt vererbt werden, adäquat zu besteuern. Ganz vorne dabei sind einmal mehr die Grünen, die mit einer seltsam anmutenden Auftragsstudie des DIW die Datenbasis zu verwässern versuchen und diese Studie dann auch noch komplett falsch interpretieren.
Statistisch gesehen ist der typische Vertreter der deutschen Vermögenselite männlich, selbstständig, zwischen 66 und 70 Jahren alt, hat Abitur und lebt im Südwesten der Bundesrepublik. Entgegen landläufiger Vorstellungen hat er sein Vermögen nicht mit den eigenen Händen aufgebaut, sondern geerbt. In diesem Jahrzehnt werden voraussichtlich Vermögen im Wert von 2,6 Billionen Euro vererbt. […] Davon entfallen jedoch rund 550 Milliarden Euro auf nur 2 Prozent der besonders großen Erbschaften. […] Insgesamt werden in rund 350 000 Erbfällen Vermögen von mehr als einer Million Euro vererbt.
aus: Jens Berger – Wem gehört Deutschland?
Die Daten, auf die ich in meinem Buch „Wem gehört Deutschland?“ zurückgreife, stammen aus einer Studie des von der Deutschen Bank finanzierten DIA. Datenbasis für die Studie ist die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) des Statistischen Bundesamts. Bei der EVS werden jedoch Haushalte, deren Einkommen über 18.000 Euro pro Monat liegt, aus dem Datenpool herausgenommen, da sie – so die offizielle Erklärung – statistische Ausnahmen sind. Das mag sein, disqualifiziert die EVS jedoch auch als Basis für Studien, in denen es vor allem um die vermögenden Haushalte geht, in denen ein monatliches Einkommen von mehr als 18.000 Euro die Regel sein dürfte. Somit sind die Zahlen der DIA-Studie im besten Sinne des Wortes konservative Schätzungen. Die Dunkelziffer dürfte im einiges höher sein.
Wie kann es dann aber sein, dass das DIW in einer aktuellen Auftragsstudie für die Grünen zu dem Ergebnis kommt, dass „nur“ 62 Milliarden Euro pro Jahr vererbt werden? Das DIW verwendet für seine Studie die offiziellen Daten aus der Erbschaftssteuer und ergänzt sie durch den eigenen Datenpool aus der DIW-Studienreihe SOEP. Und hierin liegt bereits das Kernproblem. Die offiziellen Erbschaftssteuerdaten erfassen natürlich nur die Erbschaften, die nach jetziger Definition steuerpflichtig sind und geben keine Auskunft über Art und Masse des Vermögenswertes, der der Besteuerungsgrundlage entzogen wurde. Mit diesen Daten kann man zwar recht präzise abschätzen, wie sich kleinere Korrekturen am Erbschaftssteuermodell auf das Steueraufkommen auswirken. Rückschlüsse auf das jährlich vererbte Vermögen sind mit diesen Zahlen jedoch nicht so ohne weiteres möglich. Das weiß freilich auch das DIW, weshalb es die eigenen Daten sehr zurückhaltend bewertet. Doch das interessiert die Medien – wie so oft – nur am Rande.
SPIEGEL und Grüne im Tal der Ahnungslosen
SPIEGEL Online kommt sogar zu dem kühnen Schluss, dass „selbst eine massive Erhöhung der Erbschaftsteuer dem Staat kaum mehr Geld [brächte].“ Dabei beruft man sich auch auf die Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt , die sich vom Handelsblatt mit dem Satz „Die Vorstellung, wir könnten das Erbschaftsteueraufkommen verdoppeln und so mehr Gerechtigkeit schaffen, trägt so nicht“ zitieren lässt. Da stellt sich die Frage, ob Frau Göring-Eckardt überhaupt mal einen Blick in die von ihr beauftragte Studie geworfen hat. Offensichtlich hat sie dies nicht. Die DIW-Studie sagt zum Erbschaftssteueraufkommen nämlich folgendes:
Im Ergebnis führen die Modelle [man hat 30 Modelle durchgerechnet/Anm. JB] zu mehr oder weniger deutlichen Mehreinnahmen, die bis zu einer Verdreifachung des derzeitigen Steueraufkommens reichen.
aus: DIW Berlin – Politikberatung kompakt 83
Eine Verdreifachung des Steueraufkommens wäre also „kaum mehr Geld“ (SPON)? Die Vorstellung, man könne das Aufkommen verdoppeln, „trägt sich also nicht“ (Göring-Eckhardt)? Das sind schon tolldreiste Verdrehungen der DIW-Studie.
Die kreative Steuervermeidung ist möglich
Wenn das Bundesverfassungsgericht im Herbst diesen Jahres ein Urteil fällen wird, so wird es aller Voraussicht nach die aktuelle Erbschaftssteuer für nicht verfassungskonform erklären. Das aktuelle Gesetz, das 2008 von Finanzminister Peer Steinbrück eingereicht wurde, sieht äußerst großzügige Ausnahmebestände und Schlupflöcher für das Betriebsvermögen vor. Es ist dabei nicht nur so, dass die Erben kleiner und mittelständischer Unternehmen im Regelfall gar keine Steuern bezahlen müssen. Problematisch ist vor allem, dass durch die teilweise Steuerbefreiung von Betriebsvermögen der kreativen Umgehung der Erbschaftssteuer für andere Vermögenswerte Tür und Tor geöffnet sind.
So lässt sich Immobilien- und Geldvermögen, das eigentlich erbschaftssteuerpflichtig wäre, durch eine Überschreibung an das eigene Unternehmen bis zu einem bestimmten Grad aus dem zu versteuernden Vermögen herausrechnen. Und dies ist nicht nur ungerecht, sondern auch eine ganz klare Benachteiligung von Erbfällen, in denen die Möglichkeit der „kreativen Buchführung“ über Unternehmenskonten nicht besteht.
Wenn man nur wollte, könnte man ein ordentliches Gesetz machen
Von Kritikern der Erbschaftssteuer wird stets behauptet, dass eine Besteuerung von vererbten Betriebsvermögen Arbeitsplätze gefährden und vor allem mittelständische Unternehmen in ihrer Existenz gefährden würde. Doch das ist so pauschal nicht richtig. Bereits heute gibt es die Möglichkeit, die anfallende Erbschaftssteuer zu stunden bzw. zu strecken, wenn das vererbte Unternehmen nicht über die nötigen Barmittel verfügt, um die Steuer zu begleichen. Ein gut formuliertes Gesetz würde die genannten Befürchtungen sogar vollends entkräften. Auch mit diesem Thema habe ich mich in „Wem gehört Deutschland?“ beschäftigt:
Selbstverständlich ist einem normalen Unternehmer in den wenigsten Fällen zuzumuten, 30 Prozent seines Betriebsvermögens auf einen Schlag zu mobilisieren. Dann müsste er entweder Teile seines Unternehmens verkaufen oder sich hoch bei den Banken verschulden und fortan nach ihrer Nase tanzen. Daher ist es sinnvoll, die Erbschaftssteuer nach dem Vorbild des Lastenausgleichsgesetzes in eine auf Raten zu zahlende Steuer umzuwandeln. Selbst 30 Prozent Steuerlast verlieren ihren Schrecken, wenn sie über 20 Jahre abgestottert werden können. Sollte ein Unternehmen rote Zahlen schreiben, könnte die Steuer auch gestundet werden. Damit wäre ein Fortbestand des Unternehmens zumindest aus steuerrechtlicher Sicht gewährleistet.
aus: Jens Berger – Wem gehört Deutschland?
Erbschaften sind der wohl wichtigste Grund für die Verfestigung der Reichtumskonzentration über Generationen hinweg. Der Staat nimmt jedoch durch die Tabaksteuer rund das Vierfache von dem ein, was aus Erbschaften an den Fiskus abgeführt wird. Durchschnittlich werden Erbschaften nur mit einem Steuersatz von 5 Prozent besteuert. Das ist erstaunlich, liegt der nominelle Erbschaftssteuersatz doch bei maximal 30 Prozent (Steuerklasse I) und 50 Prozent (Steuerklasse III). Verantwortlich
für die Diskrepanz zwischen rechnerischer und tatsächlich gezahlter Erbschaftssteuer sind vor allem zahlreiche Ausnahmen und die kaum zu rechtfertigende Sonderregelung für Betriebsvermögen, die nun vom Bundesverfassungsgericht untersucht wird. Hier ist eine Korrektur zwingend erforderlich.
Dass die Grünen die konstruktive Diskussion torpedieren wollen, ist leider nur allzu symptomatisch für ihren derzeitigen Zustand. Es ist jedoch keineswegs gesagt, dass die Erbschaftssteuer tatsächlich reformiert wird, wenn Karlsruhe im erwarteten Urteil eine Nachbesserung verlangt. 1995 befand das Bundesverfassungsgericht aus ganz ähnlichen Gründen, dass die Vermögenssteuer dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht und die Politik dafür Sorge zu tragen habe, dass Immobilienbesitzer bei der Vermögenssteuer nicht bevorzugt werden. Und was machte die Politik? Sie setzte die Vermögenssteuer 1997 gleich ganz aus – auch heute, 17 Jahre später, verzichtet die Politik freiwillig auf eine Besteuerung der Vermögen. Gut möglich, dass dies als Blaupause für die Zukunft der Erbschaftssteuer gelten kann.