Magazin Beitrag

Ein neues Zeitalter

Wie sich alles Unveränderliche ändert

Die Demokratie, so blökt mancher Optimist, habe in Baden-Württemberg einen fulminanten Sieg eingefahren. Die ganze Pracht solcherlei zuversichtlicher Äußerungen entfaltet sich vor einem Hintergrund, der bedenklich stimmt: 58 Jahre hat dort die Union geherrscht; 58 Jahre voller Skandale und Liederlichkeiten, Verfilzungen und Protektionen; angefangen bei Ministerpräsidenten, die entweder relativ harmloses NSDAP-Mitglied waren, bis zu solchen, die in Hitler-Deutschland Unrecht sprachen.

Dazwischen immer wieder Filz, Schiebung, Bestechlichkeit und korruptes Zuschustern von Aufträgen an Kameraden aus der Wirtschaft - Stuttgart 21 war da nicht mal der Gipfel, es war nur der letzte Akt in einem jahrzehntelang konservierten Milieu aus Freundschaftsdienst und Kumpanei, Reaktion und Revisionismus (man erinnere sich nur an Oettingers Plädoyer für Filbinger).

Die Demokratie funktioniert, denn sie hat nach 58 (in Worten: achtundfünfzig!) Jahren gegriffen und die Seilschaften durchtrennt - jedenfalls auf höchster, das heißt, auf Regierungsebene. Achtundfünfzig Jahre nur, um sich endlich endlich endlich von den Missständen zu befreien! Der Demokratie Mühlen, sie mahlen… wenn auch mit der Emsigkeit einer Schnecke. Und wäre Fukushima nicht gewesen, hätte die Debatte um die Kernenergie nicht ihren Lauf genommen, der Ländle-Filz, er säße fortan nicht in der Opposition, er würde weiterhin von der Regierungsbank aus Geschäfte delegieren, zuschustern, unter Freunden, Bekannten und Verwandten verteilen, die Atomenergie lauthals befürworten und Stuttgart 21 mit aller gebotenen Härte verteidigen und mit dem Feigenblatt zerschlichteter Befürwortungsmachung rechtfertigen.

Genau dieses Vorhaben wird nun Grün-Rot umzusetzen haben. Die Demokratie hat gesiegt: Grün-Rot baut Stuttgart 21! Natürlich mit einigen Bedenken, mit Missmut und der entlastenden Ausflucht, der Vorgängerfilz habe das Projekt ja gestartet und es sei doch nur verschwendetes Geld, wenn man die angefangenen Arbeiten nun einstellte - das wäre verantwortungslos gegenüber dem Steuerzahler! Das sind dann die Stimmen des »neuen Zeitalters«, das nach der Landtagswahl in den grünen Fanmeilen beschworen wurde. Stimmen, die in der Erscheinung Kretschmanns kein schlechtes Bild abgeben - als grünkatholischer Wertekonservativer ist er angepasst genug, auch von solchen als Ministerpräsident akzeptiert zu werden, die bislang in seliger Gutgläubigkeit meinten, die Verfilzung von Politik und Wirtschaft, das Geben und Nehmen zwischen Schul- und Studienfreunden, Bumsfreunden und Bumsfreundinnen oder zwischen etwas profaneren Geschäftspartnern, sei ein Segen für die Allgemeinheit.

Hatten sich 1998, als die Grünen in die Regierungsverantwortung im Bund stolperten, doch schon vornehmlich angepasste Gestalten, Leute wie Fischer, Künast und Trittin, in Ämter manövriert, so ist doch Kretschmann die finale Karikatur eines Grünen, der endgültig in der (Spieß-)Bürgerlichkeit angelangt ist - gäbe es die Grünen nicht, er könnte als christlicher Naturbursche auch in der Union Karriere gemacht haben: als naturverbundener Konservativer, wie sie in der bayerischen CSU zum Beispiel in Legion heimisch sind. Es bleibt abzuwarten, ob man in den Aktenschränken wühlt, in denen 58 Jahre lang ad acta gelegt wurde, was da an Verflechtungen und Protektionen gelang, was da an Schmierfilm aufgetragen wurde, auf dem die Landesregierungen glitten; ob man darin wühlt, um es der Öffentlichkeit zu präsentieren - sicher, viele viele Papiere werden nun, da der Regierungswechsel ansteht, in den Aktenvernichter gestopft werden (Aktenvernichter werden gerade fleißig nachbestellt!), damit Grün-Rot nicht in die Verlegenheit gerät, Licht ins Schwarze zu bringen. Die Frage wäre nur: ist es nicht Lieblingsdisziplin vieler Wertekonservativer, nicht nachzutreten und kein schlechtes Wort über Vorgänger zu verlieren, zudem Kontinuität zu wahren?

Natürlich fordern Grüne und Sozialdemokraten, jetzt in der Stunde ihres Triumphes… wobei, Triumph: dass die Sozialdemokratie aus dem Ländle feiert, als habe sie die Wahl gewonnen, ist schon ein Hohn. Freilich, es gibt nach 58 Jahren CDU in Baden-Württemberg nun endlich den Beweis, dass die Demokratie griffe, wenn es tatsächlich Alternativen gäbe; aber die SPD hat ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten in Baden-Württemberg eingefahren und hat dennoch mitgewirkt bei der Ablösung des Immergleichen - das ist schon kurios, fast so kurios, wie die überschwängliche Freude von Sozis, die schwächeln wie nie zuvor und dennoch vor Beglückung fast platzen. Manche nennen so ein Verhalten Lebensfreude, andere Schwachsinnigkeit. Die Stunde des Triumphes also, in der wird viel gefordert und geträumt. Und so fordern sie also den Baustopp, vielleicht sogar noch ein Plebiszit zur Zukunft von Stuttgart 21 - und dann? Verwirft man alles? Neue Schlichtung, neuer Geißler, ein neues Medienspektakel mit diesem stündlich buckliger werdenden Greisen zur Belangweiligung all derer, die meinen, Demokratie sei vor allem Transparenz durch Zerschlichtung?

Das neue Zeitalter, bewirkt durch eine augenscheinlich funktionierende Demokratie, es könnte so aussehen, dass es dem alten Zeitalter gar nicht so unähnlich ist. Sicher, so viel Verfilzungen wird es zunächst nicht mehr geben, denn 58 Jahre Regierungsmacht muß man sich erstmal zusammenschmieren. Schon möglich, dass es einige Veränderungen bei der Atompolitik gibt, jedenfalls solange, wie die Öffentlichkeit noch reges Interesse für diesen Themenkomplex zeitigt; ein wenig ökologischer Tand wird auch mitspielen und bei Stuttgart 21 wird man penibel darauf achten, dass das »Gebaut wird aber trotzdem!« nicht zum öffentlichen Ärgernis wird - Grüne wissen ja, wie man unliebsame Entscheidungen mit grün-freundlicher Tünche präsentiert; so hat man schon Auslandseinsätze der Bundeswehr mit einigem Liebreiz herbeigeschmeichelt. Mit diesem Anstrich hat man schon vormals das gesamte Parteigefüge, das einst Ökologie mit sozialer Gerechtigkeit verband (weil nur beides Hand in Hand sinnvoll ist!), auseinandergenommen und auf so genannten Realokurs gebracht - Hartz IV, mit freundlicher Genehmigung der Grünen von der SPD verwirklicht, nahm nicht unter dem Druck des Schröderianismus seinen Anfang; es war im Keim der Realogrünen, die sich Anfang der Neunzigerjahre durchsetzten und die so genannten »Fundis« vertrieben, bereits angelegt. Hartz IV, soziale Spaltung, der repressive Abbau des Sozialstaates: all das geschah nicht unter Duldung der Grünen; es geschah eher, weil die Grünen eine solche Politik für sich und ihre finanzstarke Klientel für richtig erachteten.

Sozialpolitik? Bildungspolitik? Wird man für die Klientel, für die Kretsch- und Biedermann steht, eine dünkelhafte Politik bieten? Bekenntnis zu einem Schulsystem, das mehr aussiebt als fördert, mehr trennt statt zusammenschweißt? Weiterhin ein Credo auf das SGB II anstimmen? Politik für feiste Häuslebauer? Das alles ist sehr wahrscheinlich, denn der Atomausstieg brennt auch denen unter den Nägeln, denn die wollen schließlich ein strahlendes Häuschen im Grünen, kein grünes Häuschen in Strahlung. Was schert da die Klientel der Grünen, die ja ohnehin finanziell saturierter ist, die Sorgen der Habenichtse? Das neue Zeitalter ist für die, die wenig oder nichts haben, das alte Zeitalter in zwei neuen Farben..

 

Dieser Beitrag erschien zuerst bei ad sinistram.