Magazin Beitrag

»Alle Räder stehen still…«

Der größte Streik der deutschen Geschichte

Am 13. März 1920 begann der Kapp-Lüttwitz-Putsch gegen die Weimarer Republik mit dem Marsch der Marinebrigade Ehrhardt auf Berlin. Jener Versuch rechter Kreise in Zusammenarbeit mit führenden Militärs, die Ergebnisse der Novemberrevolution rückgängig zu machen, erschütterte die junge Demokratie in ihren Grundfesten. Ein spontan organisierter Generalstreik mit 12 Millionen Beteiligten brachte ihn schon nach wenigen Tagen zum Scheitern. Aus diesem Anlass erschienen in einer ganzen Reihe von Zeitungen entsprechende Rückblicke. Hier soll untersucht werden, wie sie sich unterscheiden bzw. wodurch derartige historische Jubiläumspublizistik generell charakterisiert ist.

Die Märkische Allgemeine aus Potsdam berichtet über die bereits genannte Marinebrigade und ihre Verstrickung in die rechte Opposition der Zeit. Die zutreffend als „faschistoide Einheit“ bezeichnete Truppe steht nachvollziehbarerweise im Zentrum des Artikels, war sie doch vor dem Putsch in einem Militärlager in Brandenburg stationiert.

Einen ähnlich regionalen Bezug weist auch der Text in der Stuttgarter Zeitung auf: Hierher floh die alte Regierung nach der erfolgreichen Besetzung Berlins, und hier versammelten sich auch die Parlamentarier. Ansonsten schildert der Artikel jedoch im Wesentlichen nur die ereignisgeschichtliche Oberfläche; eine genauere Analyse wird gar nicht erst versucht.

In der Zeit findet sich eine gute Darstellung des Umfelds der konservativ-monarchistischen Putschisten um den Ostpreußen Wolfgang Kapp. Hier wird auch deutlich, wie schlecht das Unternehmen trotz längerer Vorbereitungszeit organisiert war. Der Autor Volker Ullrich, bisher u.a. durch ein fundiertes Werk über das Kaiserreich bekannt geworden, betont die wichtige Rolle des Generalstreiks für das Scheitern des Putsches. Zugleich stellt er aber auch fest, dass sich die Gewerkschaften und andere linke Organisationen mit ihren unmittelbar nach dem Ende Kapps aufgestellten Forderungen nicht durchsetzen konnten.

Eine lesenswerte Darstellung liefert Erwin Könnemann im Neuen Deutschland. Er ist bereits mehrmals durch eigene Forschungen zum Thema hervorgetreten und würdigt im Gegensatz zu den bereits genannten Texten auch den bewaffneten Widerstand, der sich allerdings nicht in der Verteidigung der Republik erschöpfte, sondern darüber hinaus auch eine „Weiterführung“ der Novemberrevolution angestrebt habe.

Manfred Weißbecker verweist in der jungen Welt zurecht auf das geringe Forschungsinteresse an der Thematik in den letzten Jahren. Interessant sind die Ausführungen zu den sozialpolitischen Vorhaben der Putschisten und über die Reaktionen der führenden Industriellen, die sich trotz unübersehbarer Sympathie skeptisch zeigten über die Erfolgsaussichten. Das war dann bekanntlich – freilich unter anderen Vorzeichen - im Jahr 1933 nicht mehr der Fall. Weißbecker ist auch der einzige, der den Widerstand der Arbeiterschaft mit den Räten in Verbindung bringt; und in der Tat war das die letzte große Massenaktion der Weimarer Republik, die von parteiübergreifenden politischen Räten getragen wurde.

 

Und Heute?

Ein Punkt ist allen Artikeln gemein: Sie blenden die aktuelle politische Brisanz des Themas völlig aus und verbleiben in historisch-distanzierter Betrachtung des Geschehens. Dabei zeigt gerade dieses Beispiel sehr deutlich, wie wirkungsvoll politische Streiks sein können. Und in anderen Ländern wie Frankreich oder Italien sind sie ein häufig angewandtes Mittel der Auseinandersetzung im außerparlamentarischen Raum.

In den letzten Jahren gab es innerhalb und außerhalb der Gewerkschaften eine breite Diskussion über das Thema politischer Streiks. Eine umfangreiche Materialsammlung zum politischen Streik findet sich hier. Allerdings sind die rechtlichen Grundlagen nicht geklärt. So ist unter Verfassungsrechtlern umstritten, ob ein Generalstreik durch das Grundgesetz - insbesondere Artikel 20, Absatz 4 - gedeckt wäre.1 Ein ausdrückliches Verbot findet sich hier jedenfalls nicht. Dennoch liegt das eigentliche Problem woanders: In Deutschland ist die Bereitschaft zu außerparlamentarischen und basisorientierten Politikformen wenig ausgeprägt, es fehlt eine Kultur des Widerstands von unten.

In diesem Sinn könnte die Erinnerung an die erfolgreiche Abwehr des Kapp-Lüttwitz-Putsches durch engagierte Massenaktionen mehr sein als die übliche Jubiläumspublizistik. Nämlich die Befruchtung einer notwendigen Debatte um Möglichkeiten und Grenzen des politischen Streiks in unserer Zeit.

  • 1. »Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.« Damit ist der Schutz der Grundlagen unserer Verfassung gemeint, d.h. der Artikel 1 und 20 insgesamt. Nur ist eben nicht eindeutig, wann »andere Abhilfe nicht möglich ist« bzw. welche Formen des Widerstands hier gemeint sind.

Kommentare

Gestreikt wird nicht!

»Arm, aber deutsch«, so der Titel der Wochenzeitung Jungle World vom 29. April 2010. Hier finden sich gleich mindestens zwei lesenswerte Artikel zum Arbeitskampf in Europa und Deutschland.

Ivo Bozic weiß in seinem Kommentar überdies, dass es allein in Deutschland eine negative Reallohnentwicklung gibt und - wen wundert's? - am wenigsten Streiktage in Europa (2008 waren es 4 auf 1000 Beschäftigte).

Während die Löhne hierzulande unter das Niveau von 1960 gesunken sind, wurden 2008 in Dänemark 157,3 Tage gestreikt, bei einer Reallohnentwicklung von 19% Zuwachs gegenüber dem Jahr 2000. Die Deutschen sind jedoch wohl nicht einfach zu dumm, um den Zusammenhang zu erkennen, wie Bovic meint.

Vielmehr gilt Streik in Deutschland als Verrat an der Standortgemeinschaft, wie Anton Landgraf es zuspitzt, und »die Arbeitsniederlegung als eine Art Dolchstoß«. Landgraf gerät sein Artikel nebenbei so auch noch zur unterhaltsamen Charakterstudie der Humanoiden zwischen Rhein und Oder.

Holger Marcks und Andreas Förster analysieren in ihrem Artikel derweil, durchaus einleuchtend, die demobilisierende und disziplinierende Wirkung des Prinzips Einheitsgewerkschaft.