Magazin Beitrag

Im Westen nichts Neues

Das Grundrauschen des Terrors
Weshalb die mutmaßlichen Attentäter mehrere Tatwaffen aufbewahrten, bleibt ein Rätsel: Hier eine Česká 83, wie sie für die Mordserie eingesetzt wurde
Weshalb die mutmaßlichen Attentäter mehrere Tatwaffen aufbewahrten, bleibt ein Rätsel: Hier eine Česká 83, wie sie für die Mordserie eingesetzt wurde Bild von Jan Hrdonka

Einen Rechtsterrorismus konnten die Sicherheitsbehörden in Deutschland nicht erkennen – obwohl nach Recherchen der Zeit und des Tagesspiegels1 seit 1990 bis 2010 137 Menschen an rechter Gewalt starben. Darin sind die Toten der ans Licht gekommenen Mordserie nicht berücksichtigt. Politik und Behörden stellen dar, daß sie aufgrund der Erkenntnisse aus allen Wolken gefallen sind. Obwohl Verfassungsschutz und Kriminalämter in diesem Fall von nichts gewußt haben wollen, da es sich laut BKA um ein „atypisches“ Täterprofil gehandelt habe, wußte man dann auf einmal sehr viel: Beispielsweise, daß es sich um ein Trio handele, von denen zwei Selbstmord2 begangen haben. Dabei gilt in der Regel: Wer als erster eine schlüssige Geschichte darstellen kann, beherrscht die Interpretation. Jedoch sind die Ungereimtheiten in diesem Fall zu groß, um mit der Einzeltäter-Hypothese ohne weiteres durchzukommen.

Die ganze Geschichte ist voller Merkwürdigkeiten, die in dem skurrilen „Pink Panther“-Film 3, in dem sich die Gruppe zu ihren Taten bekennt, ihre mediale Entsprechung finden. Den rechten Hintergrund hatten die Ermittler bei der Mordserie lange ausgeschlossen, da die Täter ohne Bekenntnis aus ihren Taten kein politisches Kapital schlagen könnten. Dieses Argument entbehrt nicht einer gewissen Logik. Denn das Agieren im völligen Untergrund ist schwer zu erklären, wenn die Taten ein politisches Ziel verfolgen. Umso merkwürdiger ist es dann, in einem Film die eigentliche Bombe platzen zu lassen – um just in dem Moment, wo die eigenen Ziele öffentlich bekannt werden sollen, aus dem Leben zu scheiden. Der Fall ist geradezu durchsetzt von deartigen Zufällen. Dabei mag die Anwesenheit eines Verfassungsschutz-Agenten mit rechter Gesinnung bei einem der Morde tatsächlich ein wirklicher Zufall gewesen sein, sofern die bekannten Fakten stimmen – oder aber ein böser Wink des Schicksals. Fakt ist jedoch auch, daß die Serie endete, nachdem dieser beschuldigt wurde.

Daß die Polizei gar nicht zu einem rechten Hintergrund ermittelte, sondern die Opfer in einem kriminellen Hintergrund wähnte, ist dabei fast ein beiläufiger Skandal, der von Vorurteilen belastete und unterschwellig ausländerfeindlichen Strukturen im Sicherheitsapparat offenbart. Denn Ausländer stehen zunächst im Verdacht, irgendeiner Mafia anzugehören. Diese Fehlannahme ist vergeichbar peinlich wie die Suche nach der »unbekannten Frau« aufgrund verunreinigter DNA-Spuren. Die Täter konnten nach Anschlagsversuchen mit nicht zündfähigen Bomben bis zur Verjährung abtauchen, obwohl sie in dieser Zeit Verbindungen zu V-Männern des Thüringer Verfassungsschutzes zumindest indirekt unterhielten und sogar auf Demonstrationen präsent waren. Daß die Behörden in der von Spitzeln durchsetzten Szene, in der gar Solidaritäts-Konzerte für die Bande veranstaltet worden sind, von all dem nichts mitbekommen haben, mag der Mann im Mond glauben. Betrachtet man Verbindungen zwischen Geheimdiensten und rechtem Terror, so mag man sich nach dem Motiven fragen. Hier hilft ein Blick in die Geschichte.

Blick in die Vergangenheit rechten Terrors

Denn am skurrilsten ist die „untypische“ Bekenntnislosigkeit der Morde und Anschläge. Doch ist sie das wirklich? Bereits in den 70er und 80er Jahren gab es in Italien sowie in der 80er Jahren in Belgien eine Serie von Terroranschlägen, zu denen sich niemand bekannte. 4 Zumindest in Italien ist der Fall im Ansatz geklärt. Dort war die ultrarechte Gruppe Ordine Nuovo (Neue Ordnung) an zahlreichen Anschlägen beteiligt – gedeckt von CIA und dem italienischen Militärgeheimdienst, welcher diese auf einem streng geheimen Stützpunkt auf Sardinien ausbildete. Opfer wurden dabei auch Polizisten. Diese Operationen waren Teil von Gladio, einem geheimen Netzwerk, das eine über ganz Europa zerstreute Untergrund-Kampfgruppe bildete. Der vorgebliche Zweck dieser Organisation war der Kampf hinter der Front bei einem sowjetischen Einmarsch. Tatsächlich wurde aber Terroranschläge im Inneren verübt, als Teil eines verdeckten Strategie des Kalten Krieg – der Strategie der Spannung. Diese beinhaltet mehrere Ziele: Einerseits sollte die Bevölkerung in Angst gehalten werden, um repressive Innenpolitik sowie Putsche zu legitimieren. Insofern war die Organisation auch eine Art Rückversicherung für eine kommunistische Regierungsbeteiligung in Demokratien: In Italien war ein Putsch für diesen Fall vorgesehen. Andererseits sollte eine Art Gleichgewicht zwischen linken und rechten Kräften hergestellt werden, die sich gegenseitig neutralisieren.

Das Attentat von Bologna war der Höhepunkt der Terrorserie von Gladio Bild von ZIC photo

Gladio hat auch in Deutschland existiert. In den 50er Jahren hatte der rechtsradikale „Bund Deutscher Jugend“ eine Unterorganisation namens „Technischer Dienst“, aus welcher zu dieser Zeit im Wesentlichen die deutschen Gladio-Zellen rekrutiert worden sind. Allerdings flog die Organisation auf, als sie ein Mitglied bei der Polizei anzeigte. Dadurch wurde die terroristische Ausbildung ebenso bekannt  wie eine „schwarze“ Todesliste für Gewerkschafter und Abgeordnete: Auch bei letzterem mag man sich an den aktuellen Fall erinnert fühlen. Nachdem nun die Organisation aufgeflogen war, intervenierte die CIA, um die Ermittlungen erfolgreich niederzuschlagen. Offenbar erfolgte danach eine Reorganisation: An Stelle einer zentralen  rechten Organisation wurde ein Netz von verflochtenen Gruppierungen geschaffen. Diesen Verdacht legt der Fall des Münchener Oktoberfest-Attentat kurz vor der Bundestagswahl 1982 nahe. Durch die frühzeitige Zündung der Bombe wurde einer der Täter getötet – dadurch wurde seine Verbindung zur rechtsradikalen Wehrsportgruppe Hoffmann  bekannt. 5 Ein undurchschaubares Geflecht von teils militärisch gedrillten Organisationen prägt die rechte Szene noch heute. Für die Behörden war jedoch schnell klar: Gundolf Köhler war ein verzweifelter Einzeltäter. Mitglieder der Wehrsportgruppe hatten allerdings Verbindungen zu Heinz Lembke und Peter Naumann. Deren Waffendepot in der Lüneburger Heide flog wenig später auf – aufgrund des Umfanges und Art des Sprengstoffes sehen die meisten Beobachter darin ein typisches Gladio-Depot. Lembke brachte sich in der Untersuchungshaft angeblich um – einen Tag bevor er über seine Hintermänner auspacken wollte. Auch hier wieder fühlt man sich an den aktuellen Fall erinnert. Lembke und Naumann waren in eine Reihe von Anschlägen verstrickt, wie beispielsweise auf einen Sender, um gegen die Ausstrahlung einer Holocaust-Dokumentation vorzugehen. Trotz allem war von rechtem Terror wenig zu hören. Trotz der Tatsache, daß mit dem Oktoberfest-Attentat der schmlimmste Anschlag der Bundesrepublik mit 11 Toten und über 200 Verletzten von Rechtsradikalen verübt wurde, trotz 150 Opfern rechter Gewalt nach der Wende sind nicht wenige überrascht vom rechten Terror.

Nun mag man einwenden, daß der Kalte Krieg vorbei ist. Wahrscheinlich wurde Gladio tatsächlich aufgelöst. Auch wenn dies ist niemals überprüft worden ist, wird die Jenaer-Zwickauer Zelle wohl kaum ein spätes Gladio-Produkt sein. Entscheidender dürfte aber sein, daß der Hintergrund der Verstrickung von Geheimdiensten in den Terrorismus niemals aufgearbeitet worden ist. Da ist das Oktoberfest-Attentat, welches den Eindruck gezielter Verdunklung bei zahlreichen Beobachtern hinterlassen hat. Da ist aber auch die Rote-Armee-Fraktion, deren Aufbau laut einigen Zeitzeugen zumindest geduldet worden ist. Bekannt geworden ist dies teils durch den Fall der Verena Becker – ungeklärt bleibt auch der Mord an Ulrich Schmücker sowie die dubiose Rolle von Horst Mahler. Die Liste der offenen Fragen zur Rolle der Geheimdienste im Kalten Krieg ließe sich endlos fortsetzen – bis hin zu den eher aktuellen Fällen wie der islamistischen Sauerland-Gruppe, die auf Betreiben eines V-Mannes handelte. In keiner dieser Fälle hat die Öffentlichkeit die volle Wahrheit erfahren.

Auswirkungen bis heute?


Damit offenbart sich das strukturell antidemokratische Element von Geheimdiensten: Denn Demokratie basiert auf die öffentliche Zugänglichkeit von Informationen. Nachrichtendienste und ihr Spitzelwesen widersprechen mit dem daraus entstehenden Herrschaftswissen der Demokratie. Nun wurde die Chance auf Aufklärung immer wieder verpasst. Hier gilt die Regel: Ohne Aufklärung bleiben wir Gefangene der Geschichte. So muß der jüngste Fall des Terrorismus nicht zwangsläufig ein Produkt der Strategie der Spannung sein: Sie ist aber ihres Geistes Kind. Mit anderen Worten: Wäre die genannten Kapitel aufgearbeitet worden, der aktuelle Fall wäre uns wohl erspart geblieben. Die bislang bekannten Mitglieder des NSU sind jedenfalls in eine rechte Szene gewachsen, die großzügig vom Verfassungsschutz gesponsort wurde. Auch hatten sie Verbindungen zu Spitzeln des Verfassungsschutzes. Man muß gar nicht feststellen, daß der Verfassungsschutz Terror unterstützt, denn ein wirkliches Urteil durch den Mangel an Fakten kaum möglich. Man kann aber feststellen, daß die herrschenden Praktiken demokratisch nicht überprüfbar sind. Daher kann ein ansonsten fragwürdiges Instrument helfen: Die Umkehrung der Beweislast. Den Behörden muß keine Verstrickung nachgewiesen werden, sondern sie müßen nachweisen, daß sie nicht verstrickt sind.

Die möglichen Motive für die Unterstützung terroristischer Organisationen können dabei vielfältige sein. Wenn im Kalten Krieg die Strategie der Spannung ein Element der verdeckten Kriegsführung im Innern war, besteht die Möglichkeit, daß sich dieser Ansatz mangels Aufarbeitung in heutige Strukturen übertragen hat und in vergleichbarer Form fortsetzt. Es ist ein offenes Geheimnis, daß Dienste auf dem Schwarzmarkt Waffenmaterial anbieten, um potenzielle Extremisten abzufangen. Hier ist die Grenze zum Agent Provocateur nicht weit. Warum die beobachteten Strukturen nicht etwas weiter gehen lassen, um dann einen netten Fahndungserfolg präsentieren zu können? Somit kann ein überdimensionierter Sicherheitsapparat gerechtfertigt werden. Und eine verängstigte Bevölkerung ist nun einmal leichter von der Notwendigkeit neuer Sicherheitsgesetze zu überzeugen. Eine starke Rechte sorgt ebenso dafür, daß sich die Extreme neutralisieren und die Akzeptanz des Sicherheitsapparats steigt. Somit wird der Extremismustheorie auch Vorschub geleitet.

Sicher: All dies ist zu einem gewissen Grad Spekulation. Doch wo ein Schattenraum geschaffen wird, der sich der Überprüfbarkeit entzieht, ist diese dann legitim und sogar notwendig, wenn sie sich auf überprüfbare Hintergründe bezieht und zwischen Fakten und Schlußfolgerung zu trennen vermag. Diese vorsichtige Spekulation abzulehnen, würde bedeutenden, die möglichen Hintergründe auszublenden. Die aufgezählten Paralellen zu Gladio lassen freilich keine eindeutigen Schlußfolgerung zu, noch können sie einen Zusammenhang belegen: Dennoch sind staatliche Verstrickungen ein Hintergrundrauschen von rechtem Terror in Deutschland und in Europa gewesen, wodurch gerade in diesem Fall eine Kontinuität nahegelegt wird: Zumindest sollte dieser Hintergrund einbezogen werden.

Konsequenzen: Starker Staat oder Aufklärung?

Als Konsquenz werden bislang neue Informationszentren angestrebt. Dabei wäre ein Abgleich von Daten zwischen Verfassunsgschutz und Kriminalämtern verfassungsrechtlich äußerst fragwürdig. Der Fall um die NSU hat gezeigt, daß durch eine konsequente Ermittlung bei den frühen Bombenbau-Versuchen sowie eine weniger einseitige Ermittlung der Fall wahrscheinlich früher aufgedeckt worden wäre. Weitere Komptenzen wäre nicht unbedingt nötig gewesen, um den Hintergrund herasuzufinden. Die Verfolgung von Straftaten sollen die Strafverfolgungsbehörden leisten. Die Auseinandersetzung von antidemokratischen Entwicklungen kann nur die Zivilgesellschaft leisten. Eine Aufklärung sollte auch dem Journalismus sowie parlamentarischen Gremien zufallen. Deren Fragen wurde von den Geheimdienstlern in der Vergangenheit abgeblockt. Der Verfassungschutz hat in einem demokratischen Staat keine Berechtigung. Die Forderung neuer Gremien zeigt, daß viele Politiker nicht verstanden haben, daß eben gerade ein aufgeblähter Sicherheitsapparat das Problem ist. Gesellschaftliche Probleme können nicht nur durch exekutive Mittel gelöst werden.

Ein Anfang zur Aufklärung ist eine ernsthafte Aufarbeitung der Verstrickungen der Nachrichtendienste im Kalten Krieg. Dieser Weg kann nur über die Öffnung der Archive und der Schaffung entspechender Institutionen gehen. Da nun zwanzig Jahre seit dem Ende des Kalten Krieges vergangen sind, gibt es keine sicherheitspolitische Rechtfertigung für die fortlaufende Geheimniskrämerei. Indem wir einen offenen Blick in die Geschichte wagen, wird am Ende eine gestärkte Demokratie hervorgehen. Nur wenn Historiker, Journalisten und Parlamentarier für einen solchen Schritt kämpfen, sind wir vor den Machenschaften der Geheimdienste gefeit.

  • 1. siehe Studie im Anhang
  • 2. An dieser These gibt es Zweifel. Liest man beispielsweise den englischen Guardian, wird lediglich von einer Selbstmord-Hypothese gesprochen.
  • 3. Weitere Informationen zum Bekennerfilm finden sich bei den Links hier
  • 4. An dieser Steller sind zur Erklärung lediglich einige Wikipedia-Links eingefügt: Wer sich umfangreicher mit dem Thema auseinandersetzen will, sei auf die angegebene Literatur sowie den Bereich zu Gladio dieser Seite verwiesen.
  • 5. Skurillerweise wurde das Anwesen des Anführers Karl-Heinz Hoffmann 2010 erfolglos nach Spengstoff durchsucht, der an Thüringer Rechtsradikale gegangen sein soll. siehe auch Die Welt 27.11.2011: Wehrsportgruppen-Hoffmann im Visier der Ermittler