Magazin Beitrag
Auf Spurensuche im Villenviertel
Hartz IV, Rütlischule, Altersarmut – die Liste ließe sich beliebig verlängern. Viel wird geredet und geschrieben über die Unterschicht in diesem Land. Da streiten Politiker monatelang über die Frage, ob der Regelsatz für Arbeitslose um fünf Euro steigen soll oder nicht. Und darüber, ob man nun Asylsuchenden lieber Bargeld gibt oder Lebensmittelgutscheine. Aber wie sieht es eigentlich am anderen Ende der sozialen Hierarchie aus? Was machen denn die Millionäre? Wie sehen sie sich, ihren Reichtum und die Gesellschaft? Christian Rickens hat sich seit Jahren mit diesen und ähnlichen Fragen beschäftigt – herausgekommen ist dabei ein Buch: Ganz oben. Wie Deutschlands Millionäre wirklich leben.
Es liegt natürlich auf der Hand, dass es sich dabei um ein hochpolitisches Thema handelt. Auch wenn der Autor in erster Linie beschreiben will und konkrete Schlussfolgerungen eher zurückhaltend skizziert. Knapp und pointiert liefert Rickens zu Beginn eine Bewertung von Reichtum in der Geschichte – von Aristoteles über die Scholastik bis hin zu katholischer Soziallehre und Marxismus. Auch die Sichtweisen der großen Religionen werden dargestellt.
Im Stil einer Reportage reiste er quer durch die Republik und traf eine ganze Reihe von Reichen und Superreichen. Er stellt deren Lebenswirklichkeit dar, ihren biografischen Hintergrund und ihre Weltbilder. So gelingt es ihm, anhand konkreter Beispiele ein anschauliches und differenziertes Bild dieser Menschen zu entwerfen. Im Anschluss an die aus der Marktforschung bekannten Sinus-Milieus teilt der Autor die von ihm porträtierten Millionäre in verschiedenen Gruppen ein: u.a. Konservative, Intellektuelle, Bodenständige, aber auch Neureiche finden sich in dem Buch. Einige von ihnen, etwa der Drogeriekettenbesitzer Götz Werner, dürften dem Leser bekannt sein. Allesamt aber haben sie eines gemeinsam: Sie verfügen über ein Vermögen von mehr als einer Million Euro und gehören damit zu dem reichsten Hundertstel unserer Gesellschaft.
Kein einziger von ihnen glaubt, seinen Reichtum nicht verdient zu haben. Der eine hat ihn über Jahrzehnte aufgebaut, der andere ist dank einer pfiffigen Idee schnell aufgestiegen. Wieder andere – übrigens statistisch gesehen die Mehrheit der Vermögenden – hat einen Großteil davon ererbt. Aber selbst diese sehen sich als rechtmäßige Eigentümer. Schließlich hätten sie den Besitz erhalten und vermehrt. Als Angestellter wird dagegen kaum einer solche Vermögenswerte anhäufen können – ihr Anteil an diesem exklusiven Zirkel beträgt gerade einmal acht Prozent. Überhaupt fällt auf, dass die Millionäre meistens ein ganz anderes Bild von sich selbst haben als der Rest der Gesellschaft. Das beginnt bei dem Chef einer Drückerkolonne, der allen Ernstes behauptet, seinen Kunden Gutes zu tun. Das geht weiter bei dem Trigemavorsitzenden, der sich in geradezu peinlichen Werbespots selbst auf die Schulter klopft ob seiner ausschließlich in Deutschland angesiedelten Produktion, intern aber ausgesprochen autoritär agiert und unter Tarif bezahlt. Und das zeigen auch die zahlreichen Stiftungen, die aktuell einen bemerkenswerten Boom erleben.
Hier meldet Rickens aus mehreren Gründen Bedenken an. Nicht nur, dass diese Einrichtungen dem Stifter erhebliche Steuervorteile verschaffen. Er entzieht auf diese Weise also dem Staat Geld, um dann nahezu völlig frei über dessen Verwendung zu entscheiden. Darüber hinaus dienen die vermeintlich gemeinnützigen Stiftungen auch einer ganzen Reihe von überaus eigennützigen Zwecken. Denn sie sind auch Werbung, eine Plattform für Netzwerke, politische Instumente oder einfach Mittel für das Hobby des Geldgebers. Und da es keinerlei Publizitätspflicht gibt, kann auch niemand sagen, ob die Gelder effizient genutzt werden. Ein besonders absurdes Beispiel ist die Stiftung Familienunternehmen. Die hat sich vor einiger Zeit sehr erfolgreich für eine Erbschaftssteuerbefreiung von eben jenen Familienunternehmen stark gemacht. Diese Form der Lobbyarbeit war dabei - der Stiftung sei Dank - sogar völlig steuerfrei. Übrigens spenden Vermögende kaum mehr als der Normalbürger; jedenfalls, wenn man die Spenden in Relation zu ihrem Besitz setzt: die Reichen geben im Schnitt jährlich 0,18% davon ab, alle anderen 0,12%.
Besonders gelungen sind die kurzen Exkurse, die der Autor unternimmt. Etwa, wenn er das Konzept des Habitus von Pierre Bourdieu vorstellt oder die empirischen Studien von Michael Hartmann über die Frage, wer es „nach oben“ schafft. Die beiden Soziologen gehen davon aus, dass nicht nur Fleiß und fachliche Qualifikationen für den sozialen Aufstieg ausschlaggebend sind, sondern auch der Habitus – also all die ungeschriebenen Gesetze, was man wie zu tun und zu sagen hat. Oft gibt das den letztlichen Ausschlag für den nächsten Karriereschritt. Die Eliten rekrutieren nämlich vornehmlich jene Anwärter, die schon aus gutem Hause kommen und daher auch mit den gewünschten Gepflogenheiten vertraut sind. Das ist natürlich auch ein Argument gegen die Vertreter der sogenannten Chancengerechtigkeit. Denen geht es aber genau genommen auch gar nicht mehr um die Frage, ob die Gesellschaft gerecht ist, sondern nur noch darum, ob jeder reich werden könnte.
Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass in anderen Ländern bzw. Kulturen auch eine andere Einstellung zum Reichtum besteht. In den USA beispielsweise werden Statussymbole offener zur Schau gestellt, genauso wie die Steuerquote niedriger ist. Andererseits gibt es auch eine höhere Spendenbereitschaft. In Russland oder Lateinamerika wiederum ist die soziale Spaltung besonders drastisch, man schottet sich ab vom Rest der Gesellschaft – und pflegt um so ungestörter die politischen Verbindungen, die den Wohlstand oft erst ermöglichen. In vielen Regionen Afrikas dagegen wäre eine solche Abschottung undenkbar, denn Familie, Dorfgemeinschaft oder Stammesverband fordern nachdrücklich „ihren“ Anteil, wenn einer aus ihrem Umfeld zu Geld kommt. Was natürlich Klientelismus und Korruption keineswegs ausschließt.
Abschließend bemerkt Rickens, unser Gesellschaftsvertrag sei in Schieflage geraten, die Reichen würden sich mehr und mehr der Verpflichtung des Eigentums zu entziehen versuchen. Das zeige sich besonders deutlich an der Steuerpolitik. Denn nicht nur der Spitzensatz der Einkommensteuer, auch andere Abgaben wie Erbschafts- und Vermögensteuer seien in den letzten Jahren entweder ausgesetzt oder gesenkt worden. Darüber hinaus sorge schon allein der Zinseszinseffekt dafür, die Einkommen aus Kapital anteilig immer weiter steigen zu lassen. Und das ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern natürlich auch eine politisch brisante Entwicklung.
Rickens hat nicht nur ein informatives, sondern auch ein unterhaltsames Werk vorgelegt. Stilistisch überaus souverän, ist es vor allem der Reportage-Stil, der den Leser bei der Stange hält. Es gelingt dem Autor auch, zahlreiche Theorien elegant und knapp einzubinden, die zum weiterlesen anregen. Man hätte sich allerdings ein wenig mehr an Vorschlägen gewünscht, wie den beschriebenen Problematiken zu begegnen wäre.
Christian Rickens: Ganz oben. Wie Deutschlands Millionäre wirklich leben. Köln 2011.