Magazin Beitrag

Spanien in Bewegung

Eine Replik auf Florian Hauschild

Florian Hauschild von le bohémien hat eine engagierte Anklage gegen den deutschen Journalismus verfasst: Reden ist Silber, Schweigen ist Schuld. Darin wendet er sich gegen die Berichterstattung zur aktuellen Protestbewegung in Spanien: Sie sei zu knapp, zu oberflächlich und teilweise schlicht falsch. Ein Beitrag zur Diskussion.

Manchen Thesen des Autors kann man wohl ohne weiteres zustimmen. So etwa, dass Social Media erheblich zur Mobilisierung und Verbreitung der Bewegung beigetragen hat. Genauso, wie das Internet insgesamt den Informationsfluss beschleunigte und die Berichterstattung in den etablierten Medien erst in Gang setzte. In diesem Zusammenhang bleibt aber die Frage: Muss man sich wundern, dass sich diese Medien nach einigen Tagen wieder anderem zuwenden? Das ist doch ein permanent zu beobachtendes Phänomen. Man denke nur an Fukushima oder Libyen – wie viele Nachrichten fließen noch zu diesen Themen? Damit soll natürlich nicht gesagt sein, dass man solche Kurzatmigkeit gutheissen muss. Ganz im Gegenteil. Es kann ja auch eine Aufgabe der Blogosphäre sein, hier gegenzusteuern. Gerade wenn man sich nicht abhängig macht von den neuesten Exklusivmeldungen, von den brandheissen Bildern. Eine seriöse, tiefergehende Analyse erfordert nun einmal vor allem eines: Zeit. Zeit für gründliche Recherchen, aber auch für einen Moment des Innehaltens, der Reflexion.

Der Tsunami der Empörung, der durch Europa rollt, ist auf dem besten Weg zu einer handfesten Systemkrise zu werden.

Bei dieser These stutzt man gleich zweifach. Denn offensichtlich blieb die Bewegung bisher weitgehend auf Spanien begrenzt. Daran ändern auch eifrige Versuche, sie zu „exportieren“, wenig. In Deutschland genauso wie anderswo jenseits der Pyrenäen blieben die Demonstrationen marginal. Etwas besser sieht es da in Italien oder Griechenland aus. Nur: Gerade in Griechenland gab es auch schon früher heftige Proteste, ganz ohne den Einfluss der Spanier. Von einem europäischen „Tsunami“ zu sprechen, ist also keineswegs zutreffend. Der zweite Punkt, die „handfeste Systemkrise“, erscheint aber noch fragwürdiger. Revolutionen erschöpfen sich jedenfalls nicht in der Besetzung öffentlicher Plätze. Selbst in Ägypten, wo eine Volksbewegung sogar die jahrzehntelange Herrschaft Mubaraks beendete, sollte man mit derartigen Begriffen vorsichtig umgehen. Ob und wie weit die Ereignisse in Spanien „das System“ bedrohen, wird sich zeigen. Aber es sind doch erhebliche Zweifel angebracht. Gerade Demokratien nach westlichem Muster haben sich schon oft als sehr flexibel im Umgang mit Protesten aller Art erwiesen. Man denke nur an 1968.

Genauso töricht ist es zu behaupten, die Bewegung wisse nicht was sie wolle. Die Anliegen der Demonstranten sind mehr als klar: Mit der immer größer werdenden Kluft zwischen arm und reich, mit der immer größeren Umverteilung von unten nach oben, und mit der immer größeren Akkumulierung von Macht in der Hand einiger weniger kleptokratischer Eliten soll Schluss gemacht werden. Die Empörung hat ihren Ursprung in nicht mehr hinnehmbaren sozialen Verwerfungen, ausgelöst durch ein gescheitertes neoliberales Wirtschaftsystem, genutzt von Wirtschaftsmächten, akzeptiert und protegiert durch ein schwaches und korruptes politisches System, das sich durch Anbiederung und Willfähigkeit seit Jahren zunehmend selbst diskreditiert. Kurz: Die Bewegung will Demokratie – wirkliche Demokratie!

In meinem kürzlich hier erschienenen Artikel – Im Namen der Demokratie –  hatte ich ja bereits die Anliegen der Bewegung analysiert und kritisiert.  Deren allgemeine Ziele  sind durchaus bekannt und wurden ja offensiv vertreten. Aber der entscheidende Punkt dabei ist: Diese Ziele sind eben sehr allgemein. An vielen Punkten könnte hier eine Konkretisierung erfolgen. Ich möchte nur einige beispielhaft anreissen. Wie könnte denn nun ein alternatives Wirtschaftssystem aussehen? Verstaatlichung der Grundversorgung mit Wohnraum, Bildung usw. wäre eine Möglichkeit. Gäbe es dann aber nicht auch bald eine bürgerferne Bürokratie? Ein wichtiges Element wäre Betriebsdemokratie für mehr Mitbestimmung in einem heute noch zutiefst undemokratischen, ohne Zweifel aber zentralen Bereich unserer Gesellschaft. Wie können das aber jene durch- und umsetzen, die selber arbeitslos oder prekär beschäftigt, mithin also bestenfalls in den Betrieben die Schwächsten sind? Einfacher wäre vermutlich eine höhere Besteuerung großer Einkommen und Vermögen und damit eine staatlich gelenkte Umverteilung. Ohne Veränderung der tatsächlichen Machtverhältnisse wäre dies lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein und unter anderen politischen Rahmenbedingungen rasch rückgängig zu machen.

Auch den Parteien gilt die Empörung, denn vielerorts in Europa haben sie vergessen, dass Parteien die Interessen der Bürger zu vertreten haben, anstatt den hechelnden Schoßhund zu spielen für jene, die längst zum Herr im Hause geworden sind.

Konkret müsste hier erklärt werden: Wenn die etablierten Parteien die Interessen der Mehrheit nicht (mehr) vertreten, wie soll das dann geschehen? Durch die Wahl der vorhandenen Kleinparteien? Das wäre in Spanien vor allem die Izquierda Unida. Allerdings ist es ihr bisher praktisch überhaupt nicht gelungen, sich aktiv in die Bewegung einzubringen. Und schon gar nicht, deren Führung zu übernehmen. Durch eine neue Partei? Oder durch ganz andere Formen politischer Organisation? Und weiter: Wie kann man dann verhindern, dass sich wieder ähnlich korrupte Strukturen bilden? Gewiss, wie in jeder Massenbewegung, die nicht zentral initiiert wurde, haben sich auch in Spanien sehr schnell basisdemokratische Verfahren etabliert. Das ist sicherlich ein hoffnungsvoller Ansatz. Aber er reicht nicht aus, um ihr Konstanz und Stabilität zu verleihen. Auch dann, wenn die erste Euphorie verflogen ist, wenn viele von den Plätzen und Straßen wieder nach Hause gehen. Gerade dieses „Abbröckeln“ ist momentan die wohl größte Gefahr. Zumal dann, wenn es zu kleineren Zugeständnissen von Seiten der Regierung kommen sollte.

Die Bewegung steht also gewissermaßen vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits muss sie klären, welche Ziele sie jenseits eingängiger Schlagworte verfolgen möchte. Und andererseits, mit welchen Mitteln sie diese auch erreichen kann. Ob das gelingt, und wie viel letztlich durchgesetzt werden kann – das muss noch offen bleiben. Die Aufgaben liegen jedenfalls klar zutage.