Magazin Beitrag

Das Europa der Konzerne wächst

Ein Staatenbund, der immer mehr zum Bund der Großunternehmen wird

Das Westfalenstadion heißt jetzt Signal Iduna Park und das Frankenstadion easyCredit-Stadion. Mancher Fußballverein hat, um an Geld zu gelangen, den ehrenwerten Namen seiner Spielstätte in die Tonne geworfen. In England gehört der gesamte Spielbetrieb einer Bank, jedenfalls schlägt sich das im Namen der Liga nieder: Barclays Premier League. Was im Fußball bereits seit Jahren Praxis ist, droht nun als allgemeine Maxime eines neuen Europas umgesetzt zu werden. Griechenland wurde zu Privatisierungen gedrängt - Portugal verkündete nun, es wolle vorauseilend-gehorsam staatliche Beteiligungen auflösen und in private Hand überführen. Auch der Energiesektor wird dann betroffen sein und der große Reibach multinationaler Konzerne scheint sicher. Die Hellenische Republik, wie sich das griechische Staatsgebilde offiziell nennt, könnte dann durchaus, um Geld zu machen, um aber auch den Einfluss der Finanzmafia auf den Staat zu markieren, den »Sponsor« im Namen tragen: EON's Hellenische Republik oder wer weiß wer da die letzten staatlichen Beteiligungen des griechischen Staates in den Rachen geworfen bekommt.

Was wie ein ausgesprochen mieser Klamauk eines Kabarettisten von Bierzeltformat klingt, ist so abwegig heute nicht mehr. Was wir gerade erleben ist die restliche Zerschlagung staatlicher Einflussnahme und Beteiligung an wirtschaftlichen Fragen. Die Europäische Union macht derzeit klar, dass Staatsgebilde ihr Tafelsilber zu verkaufen haben, damit in private Hände hineingewirtschaftet werden kann. Die Einflussnahme der Lobbyisten in Brüssel ist so gigantisch, dass man fast geneigt ist zu fragen: Warum eigentlich noch Staaten? Wieso modifiziert man die EU nicht so, dass aus dem Staatenbund ein loser Bund multinationaler Konzerne und Konsortien wird? Der Staat als Institution hat abgewirtschaftet, hat man den Eindruck. Die private Handelsgesellschaft, somit juristische Personen, regeln in Zukunft das Weltgeschehen und schreiben globale Geschichte.

Einige Science-Fiction-Stücke haben sich schon vor Jahren damit auseinandergesetzt. Nationen waren darin verschwunden, kolossale Konzerne waren die neuen Wächter des Gemeinwesens, wobei sich das im Wort enthaltene Gemein dort nicht auf Allgemeinheit, sondern auf bodenlose Gemeinheit zurückführen ließ. Auf dem Weg dorthin sind wir. Fortan werden nicht mehr Verfassungen mit - mal mehr, mal weniger - hehren Motiven und Absichten das Zusammenleben organisieren. Grundlage werden Allgemeine Geschäftsbedingungen sein, in denen von Schutz der Schwachen und Armen, von Recht auf Bildung oder Leben, um nur einige Beispiele zu nennen, keine Silbe nachzulesen sein wird. Stattdessen Rentabilität, Effektivität, Kosten-Nutzen-Modelle und allerlei Habgierigkeiten mehr. Der Ausverkauf letzter staatlicher Beteiligungen, um das wirtschaftliche Treiben voll und ganz »dem Privatier« zu übergeben, es lotst uns genau in eine solche moralisch entleerte Zukunft.

Das mag zu pessimistisch sein. Moralisch entleert wird diese Zukunft wohl nicht sein. Sie wird eine neue Ethik kennen und die Herren, die dann kein Mandat mehr benötigen, weil sie ohnehin über jeden Verdacht erhaben sind - immerhin hat sie irgendwann ein Aufsichtsrat gewählt! -, werden den Menschen, die in deren Reich leben, schon eine funktionale Ethik beibringen. Gut ist der, der Rentables tut!, repetieren dann Schülerscharen. Und Kant, lehren dann Gymnasien, habe immer schon gewusst, dass der kategorische Imperativ unbedingt kategorisch effektiv zu sein habe. Es wird nicht an Moral fehlen. Zweifellos wird auch die Weltgesellschaft multinationaler Konzerne Werte verbreiten. Mit denen, die wir heute noch randständig beobachten und wegbrechen sehen, werden sie allerdings wenig… gar nichts zu tun haben. Man wird dem menschlichen Leben nicht grundsätzliche Unantastbarkeit attestieren wollen, es sei denn, der Mensch ist Kunde, Anleger oder, falls hoch genug qualifiziert, Arbeitnehmer.

Nie war die Europäische Union näher am schon lange gärenden Vorwurf, sie sei eine Union der Konzerne. Das ist sie mit jedem Tag etwas mehr, denn sie macht ihre Mitgliedsstaaten erpressbar, indem sie sich für die Omnipotenz privatisierter Unternehmen ausspricht. Handlungspielräume für den Staat sind damit nichtig. Das Primat der Politik ist somit nicht gänzlich verschwunden, es wird nur in die Wirtschaft delegiert. Dort soll Politik gemacht werden, wenn es nach EU geht. Fortan treffen sich nicht mehr beispielsweise die Bundesrepublik Deutschland und die Französische Republik, es treffen sich die ungekrönten Könige großer Konzerne, die darüber sprechen werden, wie die europäische Gesellschaft geführt werden müsse.

Das gab es schon, als man Unternehmer in Kommissionen setzte, wenn es um neue Innovationen ging, die erdacht werden sollten. Man denke nur an die Hartz-Kommission, die auch und maßgeblich von Unternehmerhand geleitet wurde. Das war nur die Vorstufe, denn fortan werden in Europa nicht nur Kommissionen unterwandert werden, man wird den Konzernen peu a peu immer mehr politische Macht übertragen und sie damit krönen - nicht wählen, denn Konzerne sind nicht demokratisch, sondern streng diktatorisch strukturiert. Dort wählt man nicht und läßt nicht wählen, dort krönt man und läßt sich krönen. So hat sich das keiner ausgemalt, als es immer hieß, Europa müsse endlich zusammenwachsen.

 

Der Beitrag erschien ursprünglich auf ad sinistram.