Narben der Zeit
In vielen Städten der Bundesrepublik sind Debatten darüber entbrannt, wie mit dem städtebaulichen Erbe umgegangen werden soll. Brisanz erhält das Thema dadurch, dass große Teile davon gar nicht mehr existieren: Sollen sie wiederhergestellt werden – und wenn ja, mit welchem Aufwand?
In einigen Fällen hat man sich für die Einbindung erhaltener Restsubstanz entschieden, in anderen entsteht komplett Neues, bei dem nur die Gestaltung der Fassade an Vergangenes erinnert. Und wieder andere Konzepte sehen lediglich vor, alte Stadtgrundrisse mit modernen Gebäuden wiederherzustellen. Reinhard Huschke bietet einen fundierten Überblick zum Thema.
Geplantes Chaos
Die chinesische Führung hat ein ehrgeiziges Ziel ausgegeben: In den nächsten Jahren sollen bis zu 100 Millionen Menschen zusätzlich in die Städte ziehen. Noch immer lebt mehr als die Hälfte der Bevölkerung auf dem Land – viel zu viele, sagen die Parteichefs. Doch die bestehenden Megastädte wie Peking oder Shanghai können ein weiteres Wachstum kaum verkraften. Schon jetzt sind sie angesichts des Verkehrsaufkommens und der Müllentsorgung überfordert.
Deshalb plant die Regierung die Gründung zahlreicher neuer Städte. Die entsprechende Infrastruktur soll bis zu 1,8 Billionen Euro kosten. Doch damit ist es nicht getan. Es drohen die Entstehung von Slums und andere massive soziale Verwerfungen. Eine allgemeine Sozialversicherung soll diese Entwicklung verhindern, ist aber erst im Entstehen begriffen.
Die ewige Wiederkehr
Nach Jahrzehnten der kühlen, sachlichen Architektur bricht sich seit geraumer Zeit ein neuer Trend Bahn: der moderne Traditionalismus. Dabei geht es einerseits um die möglichst originalgetreue Kopie von längst Vergangenem – man denke an das Berliner Stadtschloß – oder aber an Zitate alter Stile in neuem Gewand.
Man kann sich fragen, ob das Ausdruck einer generellen gesellschaftlichen Entwicklung ist, eines neuen Konservatismus', wie er sich auch in anderen Bereichen ankündigt. Andererseits könnte man dies verstehen als den Versuch, eine immer dynamischere, hektischere Welt »da draußen« handhabbar zu machen. »Trautes Heim, Glück allein« als individuelle Antwort auf Globalisierung und soziale Verunsicherung.
Gescheiterte Stadtplanung
Ein Traum für jeden Architekten: eine ganze Stadt am Reißbrett entwerfen zu können. In China ist das möglich. Aber funktioniert es auch? Um die boomende Metropole Shanghai herum sollen in den nächsten Jahren und Jahrzehnten neun Satellitenstädte entstehen, um die inneren Bezirke zu entlasten. Weiterlesen … »
Richtiges im Falschen
Eigentlich gibt es hier alles, was man braucht: Wohnung, Arbeit, soziale Kontakte, Lebensmittel. Nur ist das etwas anders organisiert als anderswo. Denn wer hier einzieht, verzichtet auf persönliches Eigentum weitgehend, die Erlöse aus den kommuneeigenen Betrieben ebenso wie Einkommen von außerhalb fließen in eine Gemeinschaftskasse.
Ganz bewusst werden auch kleinfamiliäre Strukturen aufgelöst; Erziehung wird als Gemeinschaftsaufgabe verstanden. Neben dem ganz intimen Rückzugsraum wird viel Wert auf kollektive Aktivitäten gelegt, insbesondere politischer Art: Weiterlesen … »
Grandseigneur der Architektur
Fabiano Maciel hat einen Film gemacht über einen, der wie kaum ein anderer die Klassische Moderne in der Architektur geprägt hat. Er heißt »Oscar Niemeyer - Das Leben ist ein Hauch« und kommt jetzt in die deutschen Kinos. Der mittlerweile 102-Jährige wurde vor allem durch den Bau der brasilianischen Hauptstadt Brasilia bekannt; darüber hinaus entwarf er mehrere hundert andere Projekte. Nicht zuletzt ist er auch für seine scharfzüngigen Kommentare berüchtigt. So sagte er im Rückblick über »sein« Brasilia:
Falsch gedacht: Nach der Einweihung kamen wieder die Politiker, die Geschäftsleute, und es war wieder der gleiche Mist: Klassenkampf, die Macht des Geldes, die Einmischung der Wirtschaft, so, wie es heute noch ist.
Neue Höhen vor dem Fall
Eine leicht ironisch konnotierte Theorie besagt, dass, gerade wenn Wolkenkratzer mit neuen Höhenrekorden fertiggestellt werden, große Wirtschafts- und Spekulationskrisen ausbrechen. Burkhard Müller widmet diesem Phänomen einen Artikel im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Jüngster Beleg seien der Burj Dubai, nachdem bereits die Rekordbauten Empire State Building und das World Trade Center in New York mit Krisen zusammenfielen. Ein Grund sei, dass die Gebäude auf dem Höhepunkt von Spekualtionsbooms geplant werden, aber erst fertiggestellt werden, wenn diese bereits in sich zusammengebrochen sind. Leider läßt er dabei die Theorie des englischen Geographen David Harvey unberücksichtigt, welche davon ausgeht, dass sich Kapitalverwertungsskrisen in massiven Investitionen in Immobilien und Stadtumstrukturierung ausdrücken.