Presseschau Beitrag

Gefangen in der Aura der Macht

Zwei Artikel stellen den Prototypen des modernen Politikers heraus

Was für ein Menschentyp sind die Politiker, die in der bürgerlichen Demokratie regieren? Dieser Frage gehen Franz Walter, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen im Spiegel und Chantal Chabrol, Philosophieprofessorin in Frankreich in der Gazette in dem Aufsatz »Ein moderner Fürstenspiegel« nach. Während Walter einen eher analytischen Blick wirft, versucht Chabrol einen persönlichen Zugang zum Charakter des Politikers zu finden.

Dennoch entsteht ein ähnliches und sich ergänzendes Bild: Ausdauer, Geschick und Machtwillen sind die kennzeichnenden Eigenschaften. Nicht Intelligenz oder Charakterstärke helfen auf dem Weg nach oben, sondern alle Eigenschaften, die beim Kampf im politischen Ring hilfreich seien können. Walter kennzeichet den politischen Apparat als einen Ort, an dem weniger Kooperation als Finesse und Rücksichtslosigkeit hilfreich sind. Im Raum der Macht seien klare Positionen wenig förderlich, da sie angreifbar machen. Ein Politiker nimmt daher besser eine moderierende und umarmende Haltung ein.

Chantal Chabrol zeigt auf, daß die rein funktionale Beziehung zu Problemen und Menschen aus dem Machtmenschen einen einsamen und abgehoben Charakter prägen. »Die Politik ist eine harte Droge. Mit ihrer Prachtentfaltung, ihrem Zeremoniell, mit der ständigen Suggestion, im Rampenlicht der Geschichte zu stehen, mit ihrer hektischen Betriebsamkeit versetzt sie den, der sich ihr hingibt, in einen Rauschzustand.« Angst vor Intrigen, Machtverlust und Verlust der Privilegien und der ständigen Aufmerksamkeit prägen diesen Menschentyp, argumentiert sie.

Betrachtet man die Führungspersonen im Bundestagswahlkapf, Merkel und Steinmeier, so fällt auf, das beide im exekutiven Apparat groß geworden sind: Merkel als Ministerin und Steinmeier als Kanzleramtsminister. Beide sind eher Technokraten, die sich kaum durch starke Positionierungen unterscheiden. Im jüngsten Interview bei Maischberger gewinnt Merkel weder persönlich noch inhaltlich Kontur. Den Versuch Merkels eine überparteiliche Moderationsrolle einzunehmen, kritisiert auch Paul Schreyer in Telepolis. In seinem Beitrag über den »Übergang zur unbewußte Gesellschaft« kritisiert er auch die Lethargie der Bevölkerung auf Skandale.

Stellt man diese Beiträge in einen Kontext, so kann man zusammenfassen, daß dem durch Walter und Chabrol dargestellten funktionalen Manager der Macht keine kritische Öffentlichkeit entgegensteht, die dem inhaltlichen Vakuum einen politischen Raum entgegenstellt. Daß, was die repräsentative Demokratie zu einer macht, die sie nicht nur dem Namen nach demokratisch ist, nämlich die Zuspitzung auf unterschiedliche und wählbare gesellschaftspolitische Konzepte, besitzt keinen Ort der Auseinandersetzung. Der Bundestagswahlkampf würde sich demnach durch das Ringen um graduelle Unterschiede und öffentliche Inszenierung auszeichenen, nicht durch die Diskussion neuer Konzepte einer Gesellschaftsform, die sich in der Krise befindet.