Presseschau Konzepte

Schatten der Vergangenheit

Frankreichs und Großbritanniens Politik gegenüber Syrien
Die Aufteilung des Nahen Ostens
Die Aufteilung des Nahen Ostens Bild von Ian Pitchford

Ähnlich wie Obama hat nun auch Frankreichs neuer Präsident Hollande offen von einem möglichen Militäreinsatz des Westens gesprochen. Dabei gehe es um humanitäre Erwägungen. Außerdem regte er die Bildung einer Gegenregierung an und versprach dieser Unterstützung.

In der Tagesberichterstattung ging dabei weitgehend unter, dass Frankreichs Einmischung in der Region keineswegs neu ist. Schon während des Ersten Weltkriegs bemühte sich das Land erfolgreich um Einflussnahme. Im Rahmen des Sykes-Picot-Abkommens sicherte man sich den Zugriff auf Syrien und den Libanon, während gleichzeitig Großbritannien der Irak, Jordanien und weitere Teile des Nahen Ostens zufallen sollten. Bis dahin war die Region vom Osmanischen Reich beherrscht worden, das nach seiner Niederlage die Kontrolle an die beiden Siegermächte übergeben musste. Besonders pikant an der diplomatischen Initiative war, dass die Briten zugleich den Arabern für ihre Waffenhilfe politische Unabhängigkeit versprachen. Nach den Kämpfen war davon dann freilich keine Rede mehr. Genausowenig, wie die Franzosen bereit waren, den Syrern Autonomierechte zu gewähren.

Diese Vorgeschichte sollte man berücksichtigen, wenn über Interventionen nachgedacht wird. Denn sie zeigt zweierlei: Einmal, dass es dabei immer auch um handfeste Eigeninteressen der fremden Mächte geht. Und zweitens, dass diese gern mit schönen Versprechen an die betroffene Bevölkerung bemäntelt werden. Schon die Kontrolle über Syrien wurde Frankreich seinerzeit übrigens offiziell als Mandatsgebiet des Völkerbundes übertragen – faktisch war das Land dann jahrzehntelang eine Kolonie.

Verfassungsschutz gegen Zivilgesellschaft

Geheimdienst befindet über Gemeinnützigkeit

Trotz des laufenden Skandals um den Verfassungsschutz plant die Bundesregierung, dessen Machtbefugnisse zu erweitern: Er soll zum Richter über die Zivilgesellschaft werden, indem durch die Einschätzung des Inlandsgeheimdienstes von Vereinen und Organisationen als »extremistisch« die Gemeinnützigkeit aberkannt wird. Der Freitag legt dar, daß den betroffenen Organisationen durch die Gesetzesänderung nur ein langer Klageweg bleibt – die Einschätzungen sind jedoch zumeist willkürlich, denn die Definition von Extremismus ist schwammig und nicht wissenschaftlich fundiert. Als Resultat führt eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht ins finanzielle Abseits.

Eine Ballade voller Ungereimtheiten

Neue Spuren deuten auf die Verwicklung der Geheimdienste in rechten Terror
Der Rennsteig im Thüringer Wald
Der Rennsteig im Thüringer Wald Bild von Glasherz

Ein Bericht, den Andreas Förster für die Berliner Zeitung und die Frankfurter Rundschau verfasste, könnte den Fall um den NSU zu einer unverhofften Wendung führen:  Denn nach einem geheimen Report des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfVS) an den Generalbundesanwalt (GBA) vom Dezember 2011 hat das Amt gemeinsam mit dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) und dem Thüringer Landesamt für Verfassungsschutz (TLfV) von 1997 bis 2003 die »Operation Rennsteig« durchgeführt. Im Rahmen dieser, nach einem populären Thüringer Wanderweg benannten, Operation wurde der Thüringer Heimatschutz (THS) unterwandert, in dem die drei Dienste über zehn Informanten verfügten. Daher stellten einige Abgeordnete der Untersuchungsausschüsse die Frage, ob die drei Dienste den THS steuerten, welcher dann zur Keimzelle des NSU wurde. Für Empörung sorgte der Hintergrund, daß zu dem Vorgang vom BfVS nicht nur 2011 ein Teil der Akten vernichtet wurden, sondern auch der Schäfer-Kommission, die jüngst ihren Report zum Versagen der Behörden vorlegte, diese Information vorenthalten wurde. Weiterlesen … »

Gaudi oder Trauerspiel?

Vom Boom des Pfandsammelns
Gaudi oder Trauerspiel?
Bild von Scoobay

Mittlerweile kennt sie wohl jeder: Meist ältere Damen und Herren, die mit ihren Einkaufstrolleys in Parks unterwegs sind oder die Mülleimer am Straßenrand abklappern. Immer auf der Suche nach Pfandflaschen oder -dosen. Selten sind die Folgen von Sozialabbau und Altersarmut so präsent in der Öffentlichkeit. Fast unmerklich hat sich in der allgemeinen Wahrnehmung aber ein gewisser Wandel vollzogen: Es überwiegen nicht mehr Verwunderung oder Empörung über solche Verhältnisse, wie Loidl bemerkt: »Flaschensammler werden häufig nicht mehr als Ausdruck des Versagens sozialer Sicherungssysteme gesehen, sondern als integraler Teil der Ausgeh- und Trinkkultur.« Gelegentlich wird das Ganze sogar als regelrechte Gaudi dargestellt, zum Beispiel in der Zeit.

Am Ende des Kompromisses

Die Bildungsproteste in Chile stellen den Status quo in Frage
Proteste in Chile 2011
Proteste in Chile 2011 Bild von DGTX

Chile ist seit dem Putsch 1973 ein gespaltenes Land. Daran hat auch die Rückkehr zur Demokratie 1989 wenig geändert. Denn das Land ist durch soziale Ungleichheit geprägt, die besonders im Bildungssytem sichtbar wird. Die Kosten für den Universitätsbesuch tragen maßgeblich die Studenten und ihre Familien. So sind es die Schüler und Studenten, die das politische System mit ihren Protesten nun in Frage stellen. Aus den Bildungsprotesten hat sich eine politische Bewegung entwickelt, die sich mit den sozialen Realitäten in dem neoliberalem Musterland nicht abfinden möchte. Die politische Klasse reagiert mit Zugeständnissen und Repression. Die Bewegung erinnert sich an die soziale Bewegung vor dem Putsch und fordert eine umfassende gesellschaftliche Veränderung, die über Reformen hinausgeht. Peter B. Schumann hat im Deutschlandfunk die Bewegung porträtiert, schildert ihre Forderungen und das politische Klima in Chile.

Sabotage oder Scheitern?

Berichte zu nicht verfolgten Spuren geben dem NSU-Fall eine neue Dimension
Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft ermitteln mit allen Mitteln gegen rechten Terrorismus
Polizei, Verfassungsschutz und Staatsanwaltschaft ermitteln mit allen Mitteln gegen rechten Terrorismus Bild von buck82

Ein halbes Jahr ist mittlerweile seit der Aufdeckung des rechtsradikalen Terrorismus des NSU in Deutschland vergangen. Seitdem wurden viele Mosaiksteine des Falls enthüllt. Doch in diesem Prozess bleibt unklar, inwieweit die zumeist geheimen Informationen gezielt in den Medien lanciert werden, hier also eine gezielte Indiskretionspolitik betrieben wird, oder ob es sich um einen Versuch handelt, nachträglich Transparenz herzustellen. Umstritten bleibt auch die Frage nach den Gründen für das Scheitern der Ermittlungen. Zwei Berichte, die bei der Süddeutschen Zeitung1 und bei Frontal21 erschienen, erweitern das Augenmerk auf die Blindheit der Ermittlungsbehörden um eine neue Dimension.

So lassen Thomas Reichert und Ulrich Stoll im ZDF in nachgestellten Szenen erkennen, daß trotz eindringlicher Zeugenaussagen die Spur zu zwei Radfahrern an den Tatorten entgegen jeder Professionalität fahrlässig ignoriert wurde. Der Beitrag vermittelt den Eindruck, Spuren seien – auch über die Perspektive des nachträglichen Wissens hinaus – ungenügend verfolgt worden. Eben mit dieser Fragestellung beschäftigt sich auch die Süddeutsche Zeitung: So zeige ein internes Auswertungsschreiben über die Arbeit der »Soko Bosporus« die Zerstrittenheit der verschiedenen Ermittlungsbehörden. Demnach haben gerade fränkische Staatsanwälte und Ermittler mit nachdrücklicher Vehemenz der Spur zu Fahrradfahrern und in die rechte Szene entgegengewirkt.

  • 1. Der vollständige Beitrag unter dem Titel »Neben der Spur. Anatomie eines Staatsversagens« ist nicht online erschienen, sondern in der Süddeutschen Zeitung vom 5.5.2012

Das Wartehaus Europas

In Griechenland ist das Scheitern der europäischen Einwanderungspolitik unübersehbar

Razzien sind an der Tagesordnung, die Internierung in ungenutzte Militärlager ist vorgesehen. Die Lage für Flüchtlinge ist in Griechenland nach wie vor desaströs. Die hohe Zahl an Migranten bei einer fehlenden Struktur für die Aufnahme und einer katastrophalen Haushaltslage schürt die Stimmung für rechtsradikale Positionen. Wassilis Aswestopoulos zeigt jedoch den entscheidenen Hintergrund dieser zunehmenden Spannung auf: Das Dublin-II Abkommen läßt die Grenzstaaten der Europäischen Union mit der Einwanderungsproblematik allein. Denn Flüchtlinge müssen in dem ersten Land, in welches sie in der EU einreisen, Asyl beantragen. Dadurch sind ausgerechnet die Staaten von der Einwanderung betroffen, die von der Eurokrise am härtesten getroffen wurden. Im Niedriglohnsektor, in dem viele Einwanderer beschäftigt wurden, arbeiten zunehmend Einheimische. Die Unfähigkeit auf nationaler und europäischer Ebene eine neue Lösung der Probleme anzustreben, führt zum andauernden Bruch europäischer Verträge.

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