Presseschau Einkommen

Armut als Wachstumsbremse

Eine Studie der OECD und ihre Hintergründe

Wie die OECD mitteilt, behindert die zunehmende Ungleichheit in fast allen Mitgliedstaaten das Wirtschaftswachstum. In Deutschland etwa sei die Wirtschaft zwischen 1990 und 2010 inflationsbereinigt um 26 Prozent gewachsen; ohne Zunahme der Ungleichheit hätte dieser Wert um rund sechs Prozent höher ausfallen können. Daher müsse die Spreizung der Einkommen von staatlicher Seite bekämpft werden, insbesondere durch Investitionen in die Bildung und gezielte Transferleistungen an Jugendliche und Familien.

Kommentar

In den deutschen Medien wurden die zentralen Ergebnisse der Studie weitgehend kommentarlos und ohne redaktionelle Bearbeitung abgedruckt, so etwa bei Tagesschau, Zeit und der Frankfurter Allgemeinen. Dabei ist sie neben den nackten Zahlen noch aus anderen Gründen bemerkenswert. Zunächst wirft sie ein Schlaglicht auf die Umverteilung in den westlichen Ländern: Seit Mitte der 80er Jahre hat die Ungleichheit in fast allen OECD-Mitgliedstaaten zugenommen, zum Teil sogar deutlich. Über die politischen Hintergründe - in erster Linie wäre hier der forcierte Neoliberalismus zu nennen - schweigen sich die Medien allerdings aus. Vielmehr wird als Erklärung auf die wachsenden Unterschiede in der Bildung verwiesen - so, als ob damit allein die Umverteilung zu erklären wäre. Wo bleiben bei diesem Ansatz aber die massiven Steuersenkungen für Gutverdiener und Unternehmen, wo die Beschneidung von Sozialstaat und Arbeitnehmerrechten?

Interessant ist auch, dass sich die OECD-Studie einer ganz ähnlichen Grundannahme bedient wie das aktuell vieldiskutierte Werk von Thomas Piketty. Demnach sind Ungleichheit und Armut selbst nicht das Problem, sondern sie sind es nur als Wachstumsbremse. Oder zugespitzt formuliert: die Armut der Unterschicht muss bekämpft werden, damit Mittel- und Oberschicht von mehr Wachstum profitieren können.

»diszipliniert und bestraft«

Die Arbeitslosenverwaltung - eine Bestandsaufnahme

Für den Deutschlandfunk hat Reiner Scholz Betroffene, Behörden und Kritiker der deutschen Arbeitslosenverwaltung zu ihrer Meinung befragt. Herausgekommen ist dabei eine durchaus differenzierte Bestandsaufnahme. Von der Angst um die bloße Existenz ist die Rede, aber auch von Behördenwillkür, überlasteten Mitarbeitern und mangelnden Perspektiven. Etwa zehn Jahre nach der Einführung der sog. Hartz-Gesetze ist jedenfalls klar, dass die Reform daran gescheitert ist, Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen. Selbst Peter Hartz meinte schon 2007: »Herausgekommen ist ein System, in dem die Arbeitslosen diszipliniert und bestraft werden.« Man mag sich freilich darüber streiten, ob nicht genau das - und eben nicht die Hilfe für die Erwerbslosen - der eigentliche Zweck der Neurordnung war.

Arbeit auf Abruf

Die Flexibilisierung im Einzelhandel

Mit einer ganzen Palette von Arbeitszeitregelungen wälzen die Unternehmen seit Jahren Geschäftsrisiken auf ihre Angestellten ab: Bei hohen Umsätzen fällt mehr Arbeit und entsprechend mehr Lohn an. Sind die Läden aber - vorübergehend - leer, müssen die Arbeitnehmer unbezahlt zuhause bleiben. Streiks haben zwar jüngst dazu geführt, dass der Manteltarifvertrag wieder in Kraft gesetzt wurde, weitere Verschlechterungen also abgewehrt werden konnten. An den Arbeitszeitregelungen hat sich jedoch nichts geändert. Das geltende Arbeitsrecht sieht hier großen Spielraum für die Unternehmen vor. Klagen an den zuständigen Gerichten werden außerdem kaum angestrengt und noch seltener über Jahre hinweg aufrechterhalten. Das liegt nicht zuletzt an der abhängigen und unsicheren Lage der Betroffenen. Hier zeigt sich, dass Prekarisierung schon selbst zum Erhalt und Ausbau der Prekarisierung beiträgt.

Das Rote Berlin

Ein Lesetipp
Das Rote Berlin

„Berlin gehört uns!“ – Das konnte August Bebel voller Stolz verkünden. Über viele Jahre hinweg war die Arbeiterbewegung hier tatsächlich die größte der Welt. Das Rote Berlin behandelt diese Geschichte von ihren Anfängen im 19. Jahrhundert bis zum Dritten Reich. Spannend geschrieben, ohne dabei auf historische Genauigkeit zu verzichten. Das Rote Berlin will Geschichte durch Geschichten verständlich machen und setzt kein umfassendes Vorwissen voraus. Sicher wird aber auch der Kenner der Stadtgeschichte auf bisher unbekannte Episoden und Fakten stoßen.

Weit über Deutschlands Grenzen hinaus wurde die Berliner Arbeiterbewegung als Vorbild angesehen. In dieser Darstellung werden ihre Breite und ihr Facettenreichtum deutlich. Die Entwicklung von Parteien und Gewerkschaften wird ebenso gewürdigt wie spontane Aktionen und das soziale und kulturelle Milieu. Neben Sozialdemokraten, Anarchisten und Kommunisten geht es auch um die berüchtigten Rehberger und Wilden Cliquen, um die revolutionären Obleute und rebellierende Arbeitslose, um die Blumenstraßenkrawalle, den Bierboykott, die Rote Insel oder den Arbeitersport. Denn all das war Teil der Arbeiterbewegung. Sie war kein monolithischer Block, sondern ein vielschichtiges Gebilde von einander ergänzenden, manchmal auch miteinander rivalisierenden Teilen.

Wohlstand für alle?

Die Schere geht auseinander in Deutschland

Seit vielen Jahren entwickeln sich die sozialen Schichten auseinander, das zeigen zahlreiche Studien ganz eindeutig. Die Umverteilung und Anhäufung gigantischer Vermögen wurde durch eine Politik gefördert, die den obersten zehn Prozent enorme Vorteile bescherte - und zwar von allen Regierungen, seien sie nun schwarz-gelb, rot-grün oder rot-schwarz. Ein Film des ZDF zeigt einige Ausschnitte aus einer Gesellschaft, in der Reichtum nicht nur wächst, sondern sich auch reproduziert. Denn schon in der Kita greifen Selektionsmechanismen, die dafür sorgen, dass sich an der Spaltung zukünftig nichts ändert. Auf der anderen Seite verlieren Menschen ihre Jobs, ihre Perspektive und zuletzt auch ihre Würde. Und sie haben nicht Teil an Vielem, was das Leben lebenswert macht. Weiterlesen … »

Intellektuelles Proletariat

Zwischen Karrierehoffnung und Prekarisierung

Rund 400.000 wissenschaftliche Hilfskräfte und Mitarbeiter arbeiten im deutschen Hochschulsystem. Sie geben Kurse für Studenten, kopieren Bücher für ihre Chefs, die Professoren, und helfen auf vielfältige Weise dabei, den Betrieb am Laufen zu halten. Die Bezahlung ist eher gering, die Arbeitsbelastung dagegen hoch. Dennoch sind die Jobs beliebt, denn sie scheinen ein Karrieresprungbrett zu sein. Oft genug geht dieser Traum aber nicht in Erfüllung, wie Christian Schneickert mit einer umfangreichen Studie festgestellt hat. Neben der geringen Zahl an verfügbaren Stellen für fertig ausgebildete Wissenschaftler kommt noch ein weiteres Problem hinzu:

Aber natürlich ist klar, dass sich viele Erwartungen langfristig nicht erfüllen werden. Nach dem Examen oder der Promotion geht es nicht automatisch im Traumjob weiter. Der Grund ist ganz einfach und lässt sich wieder mit Bourdieus Feld-Theorie beschreiben. Die Anzahl der Stellen, die hochqualifiziert, hervorragend bezahlt und obendrein noch mit gesellschaftlicher Anerkennung verbunden sind, liegt weit unter der Zahl der Absolventen und Promovenden. Will sagen: die Bewerberinnen und Bewerber sind da und haben eigentlich nichts falsch gemacht. Es fehlen nur die entsprechenden Beschäftigungsangebote. Und hier spielt dann die soziale Herkunft doch wieder eine erhebliche Rolle.

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Wie kritisch sind Journalisten?

Eine Untersuchung zu Elitenetzwerken

Uwe Krüger hat eine umfangreiche Studie vorgelegt, in der er die Verbindungen von einflussreichen Journalisten zu politischen Netzwerken untersucht. Jeweils eine Person der Leitmedien FAZ, Die Zeit, Die Welt und Süddeutsche Zeitung werden dabei untersucht, exemplarisch mit Blick auf die Außen- und Sicherheitspolitik. Dabei wird deutlich, wie eng diese Journalisten mit anderen Eliten verzahnt sind. Und mehr noch: Es zeigt klar, wie weit sich die Sichtweisen und Argumentationen beider Gruppen decken. Dem Idealbild von kritischer, distanzierter Darstellung genügt das kaum, wie der Autor festhält:

Ihr Bild von Bedrohungen und Konflikten war ebenso eindimensional und nicht reflexiv wie das in den offiziellen Doktrinen. Stellenweise verwendeten v.a. Kornelius und Joffe Propagandatechniken, wobei offenbleiben muss, ob sie dies bewusst oder unbewusst taten. Die Argumentation der vier Journalisten ist zusammenfassend als unkritisch bis persuasiv zu qualifizieren; Gegenargumente zum offiziellen Diskurs wurden kaum diskutiert.

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