Der Berliner Thinktank Stiftung Wissenschaft und Politik hat kürzlich eine Studie [8] zur Staatsverschuldung in der EU vorgelegt. Eine Analyse der aktuellen Situation wird dabei durch konkrete Vorschläge an die Entscheidungsträger ergänzt. Das Grundproblem ist klar: in der Gesamtheit der Euro-Länder stieg die Verschuldung, gemessen am BIP, weit über die Obergrenze des Maastricht-Vertrages von 60%. Das liegt auch an den großangelegten Bankenrettungspaketen der letzten Monate. Damit einher geht eine erhebliche Zinsbelastung der Haushalte und damit eingeschränkte Handlungsspielräume für die Politik.
Doch was wäre angesichts dieser Situation die angemessene Reaktion der Politik?
Neben interessanten Zahlen enthält die Studie auch einen Rückblick auf vergangene - meist erfolgreiche - Versuche, die Staatsschuld signifikant abzubauen. Die Lösung des Problems kann allerdings kaum überzeugen.
Zwar ist es zweifellos richtig, dass eine pauschale Forderung nach einer allgemein verbindlichen Höchstverschuldung den sehr unterschiedlichen Situationen in den einzelnen Ländern nicht gerecht werden kann. Die unsozialen Folgen eines harten Sanierungskurses werden aber kaum erwähnt. Und das starre Festhalten an der Inflationsbekämpfung als Hauptziel der Währungspolitik zeigt, wie wenig an Umdenken die Krise tatsächlich bewirkt hat. Denn es ist gerade diese maßgeblich von Deutschland betriebene Vorgehensweise, die zu der langanhaltenden Stagnation in Europa entscheidend beigetragen hat.
Stattdessen wäre eine großzügige Stimulation durch schuldenfinanzierte staatliche Nachfrage erforderlich, um - das wäre die logische Folge daraus - bei anziehendem Wachstum über höhere Spitzensteuersätze bzw. andere Steuern auf Vermögenswerte diese Schulden dann abzubauen. Denn einerseits wäre es nur gerecht, diejenigen zur Kasse zu bitten, die von den staatlichen Hilfen in der Krise profitiert haben. Andererseits kann so das strukturelle Ungleichgewicht zwischen stagnierenden Löhnen und demzufolge schwacher Binnennachfrage sowie dem Überhang an Kapital abgebaut werden. Gerade die durch die Umverteilung der letzten Jahrzehnte angehäuften enormen Privatvermögen wurden mangels profitabler Anlagemöglichkeiten in Produktionskapazitäten zunehmend in spekulative Investments umgelenkt.
An genau diesem Punkt scheiterte der Keynesianismus bisher aber regelmäßig. Es wäre wohl zu kurz gegriffen, das auf ein nur ungenügendes Verständnis von makroökonomischer Steuerung seitens der verantwortlichen Politiker zurückzuführen. Tatsächlich liegen diesem Versagen eher die bestehenden Machtverhältnisse zugrunde. So ist es für Unternehmer und ihre Lobbyverbände augenscheinlich kein Widerspruch, in der Krise staatliche Hilfen anzufordern, während guter konjunktureller Zeiten dann aber wieder auf die »notwendige« Freiheit des Marktes zu pochen.
Ein – in der genannten Studie nachdrücklich gefordertes – Eintreten für den gescheiterten »Wachstums- und Stabilitätspakt« wäre genau der falsche Weg, um aus der Krise im allgemeinen und der Staatsverschuldung im besonderen herauszukommen. Oder, besser gesagt: Er wäre nur im Interesse derer, die nicht auf steigende Löhne, sondern auf eine besondere Sicherheit ihrer in Euro gehandelten Wertpapiere angewiesen sind.
Bemerkenswert ist noch etwas anderes: Vom Autor wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich im Idealfall das Wachstum von Lohnstückkosten und Produktivität decken. Aber zwei naheliegende Folgerungen werden daraus nicht gezogen. Erstens wäre dies das sicherste Mittel, um die Inflation in annehmbaren Grenzen zu halten. Und zweitens bedeutete es eben auch eine Korrektur der jahrelangen »Lohnzurückhaltung« in Exportnationen wie Deutschland und den Niederlanden.
Links:
[1] http://wiki.dasdossier.de/schwerpunkt/weltwirtschaftskrise
[2] http://wiki.dasdossier.de/stichwort/europaeische-union
[3] http://wiki.dasdossier.de/stichwort/staatsverschuldung
[4] http://wiki.dasdossier.de/stichwort/loehne
[5] http://wiki.dasdossier.de/stichwort/keynesianismus
[6] http://wiki.dasdossier.de/stichwort/inflation
[7] http://wiki.dasdossier.de/nutzer/axel-weipert
[8] http://www.swp-berlin.org/produkte/swp_aktuell_detail.php?id=12391&PHPSESSID=7d8375b84bc9cb3c736c5f99cf1df957
[9] http://www.swp-berlin.org/produkte/swp_aktuell_detail.php
[10] http://www.swp-berlin.org/common/get_document.php?asset_id=7111
[11] http://wiki.dasdossier.de/medium/stiftung-wissenschaft-und-politik
[12] http://wiki.dasdossier.de/autor/ognian-hishow