Presseschau Beitrag

Doppeltes Spiel auf allen Seiten

Warum bei den afghanischen Kriegstagebüchern der brisanteste Teil fehlte
US-Spezialkräfte in Afghanistan
US-Spezialkräfte in Afghanistan Bild von ISAF

Marc Thörner zeichnet im Deutschlandfunk die Veröffentlichung der afghanischen Kriegsmeldungen des amerikanischen Militärs durch Wikileaks und Partnermedien Ende Juli 2010 nach. In diesem bemerkenswerten Feature enthüllt Thörner, warum der brisanteste Teil dieser Geheimdienstsammlung niemals veröffentlicht wurde. Die Warlords der Nordallianz, welche nach der Invasion die Macht in den nördlichen Provinzen übernahmen, unterstützten die Taliban, um die Schwäche der Regierung in Kabul sichtbar zu machen. Der Tadschikenführer Mohammed Atta Nur und der Usbekenführer Raschid Dostum planten die Absetzung der Regierung Karsai um selbst die Macht zu übernehmen. Als Reaktion verbündete sich Karsai mit paschtunischen Milizen.

Doch warum tauchten diese »Threat Reports« in den Afghan War Diaries nicht auf? Tatsächlich hatten die großen Medien als Kooperationspartner von Wikileaks auf eine schnelle Veröffentlichung gedrungen. Die Whistleblower-Plattform konnte daher ihre Zusage nicht einhalten, die Namen von Informanten in den zahllosen Reports unkenntlich zu machen. Stattdessen wurde der politisch brisanteste Teil einfach herausgenommen – bis heute sind sie nicht veröffentlicht worden. Dadurch wird die Logik von medialem Verwertungsdruck erkennbar und der interne Konflikt bei Wikileaks nachvollziehbar. So blieben die Absprachen mit Medien bis zuletzt unklar und wurden nach Gutdünken geändert – Wikileaks war auf eine solche Dimension und Menge an Material offenbar nicht vorbereitet. Interne Konflikte waren die Folge.

Wenn eine Enthüllungsplattform mit dem Anspruch auftritt, völlig neue Maßstäbe zu setzen, Informationen ungefiltert ins Netz zu stellen, wenn sie, damit der Effekt noch größer wird, sich drei, vier handverlesene Partner sucht; wenn diese Partner um die Auflage zu steigern und Profit zu machen Zeitvorgaben setzen, selber einen Wettlauf in Gang bringen, der den Schutz der Informanten unmöglich macht – und wenn die vermeintlichen Enthüller dann kurzfristig entscheiden, die eigentlich wichtigen Informationen gar nicht zu enthüllen.

Thörner bemängelt zudem, dass die Politik auf diese Informationen nicht reagiert hat, sondern dem Treiben der Warlords zuschaute, die Minderheiten drangsalierten und somit in die Arme der Taliban trieben. Die Chance für eine politische Lösung wurde verspielt.