Presseschau Beiträge von Caspar Bildner

Das Wartehaus Europas

In Griechenland ist das Scheitern der europäischen Einwanderungspolitik unübersehbar

Razzien sind an der Tagesordnung, die Internierung in ungenutzte Militärlager ist vorgesehen. Die Lage für Flüchtlinge ist in Griechenland nach wie vor desaströs. Die hohe Zahl an Migranten bei einer fehlenden Struktur für die Aufnahme und einer katastrophalen Haushaltslage schürt die Stimmung für rechtsradikale Positionen. Wassilis Aswestopoulos zeigt jedoch den entscheidenen Hintergrund dieser zunehmenden Spannung auf: Das Dublin-II Abkommen läßt die Grenzstaaten der Europäischen Union mit der Einwanderungsproblematik allein. Denn Flüchtlinge müssen in dem ersten Land, in welches sie in der EU einreisen, Asyl beantragen. Dadurch sind ausgerechnet die Staaten von der Einwanderung betroffen, die von der Eurokrise am härtesten getroffen wurden. Im Niedriglohnsektor, in dem viele Einwanderer beschäftigt wurden, arbeiten zunehmend Einheimische. Die Unfähigkeit auf nationaler und europäischer Ebene eine neue Lösung der Probleme anzustreben, führt zum andauernden Bruch europäischer Verträge.

»Minimalbeschreibung eines Bürgerrechtlers«

Gaucks Rolle in der DDR ist zweifelhaft: Den einen ist er Freiheitskämpfer, den anderen ein IM
Im Rampenlicht, aber nicht ausgeleuchtet: Gauck zu Besuch bei der FDP, die seine Präsidentschaft durchsetzte
Im Rampenlicht, aber nicht ausgeleuchtet: Gauck zu Besuch bei der FDP, die seine Präsidentschaft durchsetzte Bild von FDP

Joachim Gauck ist neuer Bundespräsident. Die urspünglich taktische Aufstellung des Pastors und späteren Verwalters der MfS-Akten durch die Oppostion 2010 hat sich durch das Votum der FDP 2012 verselbstständigt. Der Schritt ins Rampenlicht hat zugleich die Frage losgetreten, wie die Rolle Gaucks in der DDR zu bewerten ist. Zugleich steht er aufgrund von Äußerungen zur Einwanderung und der deutschen Vergangenheit in der Kritik. So greift Andreas Strippel die Bezeichnung Gaucks in vielen Medien als Bürgerrechtler oder gar als Freiheitskämpfer an. Dies sei nach den Aussagen damals Oppositioneller nicht richtig, denn er habe sich in der Friedensbewegung nicht eingebracht. Er sei zwar Gegner des »autoritären Polizeistaat[es] DDR« gewesen, dies mache ihn aber noch nicht zu einen Streiter für Freiheit. Vielmehr sei sein Freiheitsbegriff eindimensional und unscharf:

Weder ist Gauck ein Befürworter eines liberalen Individualismus, noch profiliert er sich als Kritiker autoritärer Tendenzen in der westlichen Demokratie.

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Gefangen im Atomdorf

Eine Reportage über Japans allmächtige Nuklearlobby
Aufräumarbeiten in Fukushima an der einsturzgefährdeten Einheit 4
Aufräumarbeiten in Fukushima an der einsturzgefährdeten Einheit 4 Bild von Tepco

Schon ein ganzes Jahr muß sich Japan mit den Folgen eines Erdbebens herumplagen, welches das Vorstellungsvermögen in allen Prognosen sprengte. Johannes Hano beschäftigt sich im ZDF mit den Auswirkungen der Nuklearkatastrophe von Fukushima. Die Gefahren in dem Kraftwerkskomplex sind nicht gebannt, denn in den Abklingbecken des vierten Meilers lagern Brennstäbe, denen bei einem erneuten Beben der Einsturz droht. Die Folge wäre eine Kernschmelze unter freiem Himmel.

Der Bericht erscheint als Anklage gegen die japanische Atomlobby. Denn die systematische Schlamperei des Betreibers TEPCO wurde durch das »Atomdorf« gedeckt: einem Kartell aus Stromkonzernen, ihren Aufsehern, Wissenschaft und Politik. In Drehtürmanier werden Aufseher zu Managern und Manager zu Aufsehern, widersprüchliche Meinungen werden unterdrückt. Dieses Kartell ist laut dem ZDF-Report für die Katastrophe maßgeblich verantwortlich, denn die Risiken der Atomenergie durch Erdbeben wurden heruntergespielt. Hano spricht mit zahlreichen Experten – in einem ausführlichen Interview äußert der damalige Premier Naoto Kan schwere Vorwürfe gegen die Atomlobby. Weiterlesen … »

In der Gewaltspirale

Eine Ende des syrischen Bürgerkriegs ist nicht absehbar
In der Gewaltspirale
Bild von quantestorie

Seit einem Jahr brodelt der innere Konflikt in Syrien: Die Auseinandersetzungen sind längst zu einem Bürgerkrieg angewachsen, doch zugleich tobt eine Propagandaschlacht. Eine klare Bewertung ist daher schwierig. Die Opposition teilt sich in den Syrischen Nationalrat in Istanbul, der von verschiedenen Staaten unterstützt wird, und dem Nationalen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel, der in Syrien einen Wandel im Dialog mit der Regierung anstrebt. Während die Mehrheit der deutschen Medien die Sichtweise vertritt, daß die massive Gewalt der syrischen Regierung gegen die Proteste mit allen Mitteln gestoppt werden soll, gibt es auch gegenläufige Stimmen. So betonte Karin Leukefeld im Interview die widerstrebenden Stimmen der syrischen Opposition; Jürgen Todenhöfer wies dagegen auf die breite Unterstützung der Regierung in Teilen der Bevölkerung neben deren Gegnern hin und fordert ein differenzierteres Bild. Sowohl Todenhöfer als auch Leukefeld stehen mit ihrer Sichtweise in der Kritik als Unterstützer der Assad-Regierung. Weiterlesen … »

»Projektionsfläche für alles, was schiefgeht«

Der Terror in Nigeria zeugt von inneren Zerwürfnissen
Trauer um die Opfer des Anschlags auf die UNO 2011
Trauer um die Opfer des Anschlags auf die UNO 2011 Bild von UN Nigeria

In den vergangenen Jahren erschütterte die islamistische Gruppierung Boko Haram das westafrikanische Nigeria mit zahlreichen Anschlägen. Diese richten sich gegen die Polizei und gegen Kirchen, aber auch gegen die UNO. Besonders im vergangenen und in diesem Jahr ist eine wachsende Zahl an Opfern zu beklagen. Die Gruppe agiert sehr geheim und ist daher schwer zu fassen. Thomas Scheen hat sich für die Frankfurter Allgemeine Zeitung vor Ort umgesehen. Der Hintergrund der Gruppe ist umstritten: Die Einen sehen die muslimischen Eliten im Norden hinter dem Terror, die mit der Machtverteilung im Land unzufrieden sind. Die Anderen meinen, die Eliten im Süden wollen die Abspaltung des Nordens betreiben, um die Erdölschätze allein für sich nutzen zu können. Wieder Andere sehen das Netzwerk Al-Qaida hinter der Gruppe. Dagegen spricht die verbreitete Einschätzung, es handele sich nicht um einen religiösen, sondern um einen Machtkonflikt. Wie auch immer – die widersprechenden Sichtweisen zeugen von einem gespaltenen Staat, der von inneren Konflikten zerrissen ist:

»Boko Haram ist zu einer Projektionsfläche geworden für alles, was schiefgeht in diesem Land«, erklärt Sule Bello, der an der Universität von Kano Geschichte lehrt. »Jeder hat eine Meinung zu Boko Haram: die Leute im Süden, die den Norden beschuldigen; die Leute im Norden, die den Süden verantwortlich machen; die Christen, die auf die radikalen Muslime schimpfen und die Muslime, die den Christen koloniale Tendenzen unterstellen.«

Wenn die Vergangenheit auf der Stelle tritt

Ein Bericht zum Prozess gegen Verena Becker

Manuela Pfohl hat für den Stern den Prozess gegen Verena Becker am Stuttgarter Landgericht besucht. Herausgekommen ist ein jovialer und unterhaltsamer Bericht. Bei der Verhandlung erkennt die Autorin dagegen kaum Fortschritte. Das liegt auch an dem Mauern der Behörden, das Bundesinnenministerium blockiert auch heute noch die Freigabe der alten Akten. Die Zeugen sind dagegen weniger hilfreich:

Die damals Involvierten widersprechen sich. Manche erinnern sich nicht mehr. Eine Zeugin will partout nicht aussagen, ein anderer kann nicht, weil er inzwischen dement ist und ein dritter fällt ebenfalls aus, weil er bereits verstorben ist. Detailfragen werden gestellt, akribisch seziert und schließlich beantwortet, ohne dass für einen Außenstehenden ersichtlich wäre, wozu das Ganze führt.

Die Welt hat sich seit Prozessbeginn weiter gedreht, das öffentliche Interesse an dem Fall nimmt ab. Einmal mehr scheitert die Aufarbeitung der Vergangenheit der Bundesrepublik. Der Initiator des Prozesses, Michael Buback, protokolliert dennoch fleißig das Geschehen.

Tote Zeugen

Die Europäische Union scheitert am Aufbau eines Rechtsstaats im Kosovo
Zigarettenschmuggel im Kosovo
Zigarettenschmuggel im Kosovo Bild von blandm

Kaum jemand würde den Kosovo als funktionierenden Rechtstaat bezeichnen. Die organisierte Kriminalität ist nach der Ausrufung der Unabhängigkeit 2008 nach wie vor ein wichtiger Wirtschaftszweig. Dazu zählt der Schmuggel von Drogen und Zigaretten in die EU. Die regierende Demokratische Partei (PDK) des Premierministers Hashim Thaçi wird immer wieder in Verbindung mit kriminellen Geschäften gebracht. Daneben werden Politiker der Partei, die die politische Nachfolgeorganisation der Rebellenarmee UÇK ist, Kriegsverbrechen vorgeworfen. Doch der ehemalige Premier Ramush Haradinaj musste bei einem Kriegsverbrecherprozess in Den Haag freigesprochen werden, weil von zehn Zeugen nur noch einer lebte. Ein geheimes Papier des Bundesnachrichtendienst sah ihn zudem in Drogen- und Waffengeschäfte verwickelt.

Daher weist eine Reportage von Frontal21 auf die wichtige Rolle des Zeugenschutzprogrammes der Europäischen Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX hin. Doch das Programm schützt und betreut seine Klienten nur mangelhaft. Ein Zeuge wurde in einem Park in Duisburg erhängt aufgefunden, nachdem er sich über das Programm beschwerte. Der ZDF-Bericht beklagt somit den mangelnden Willen der Schutzmächte, im Kosovo mit der Vergangenheit aufzuräumen und für rechtsstaatliche Verhältnisse zu sorgen.

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