Magazin Beitrag

Unter der schwarzen Fahne

Was die Piraten wollen
Piratenwagen auf der Freiheit-statt-Angst-Demo am 12.9.2009 <br/>Fotos: Björn Kietzmann
Piratenwagen auf der Freiheit-statt-Angst-Demo am 12.9.2009 Fotos: Björn Kietzmann

Die »Piraten« sorgen neuerdings für Furore in der deutschen Parteienlandschaft. Erste Erfolge wie ihr Ergebnis bei der Wahl zum Europäischen Parlament, als sie aus dem Stand 0,9% der Stimmen errangen, oder der Übertritt des SPD-Bundestagsmitglieds Jörg Tauss sorgen nicht nur für ein breites Medienecho, sondern ließen auch die Mitgliederzahl seit Juli 2009 von etwa 1.000 auf über 8.000 explodieren. Es stellt sich daher die Frage, wofür diese Partei steht und wie es um ihre zukünftigen Perspektiven bestellt ist.

Programmatik

Das Wahlprogramm für die Bundestagswahl konzentriert sich ausdrücklich auf einige wenige Themen:

Der Datenschutz des einzelnen Bürgers soll stärker berücksichtigt werden, gleichzeitig setzen sich die Piraten für ein „allgemeines Verbot der Überwachung des öffentlichen Raums“ und Transparenz in staatlichen Behörden ein, gemäß der Leitlinie „gläserner Staat statt gläserner Bürger“. Die Forderung „Amtsträger dürfen neben ihrem Amt und wenigstens 2 Jahre nach Beendigung ihrer Amtstätigkeit nicht in Unternehmen, Vereinen oder Verbänden tätig sein, die direkt durch die Amtstätigkeit betroffen sind“ schließt allerdings andere Nebentätigkeiten nicht aus – diese sollen aber offengelegt werden.

Urheber- und Patentrecht sollen offener gestaltet werden, etwa im Sinne der CreativeCommons-Lizenzen oder des Open-Access-Prinzips. Insbesondere wird kritisiert, dass aktuell nicht die eigentlichen Urheber, sondern v.a. die „Verwerter“ von den Restriktionen profitieren würden. Dagegen richtet sich u.a. das Recht auf freie Privatkopien.

Neben einem unbeschränkten Zugang zu Infrastrukturen im allgemeinen soll der Staat insbesondere das Internet für jedermann verfügbar machen. Zensur im oder Auschluss vom Netz wird entschieden abgelehnt.

Als letzter Punkt findet sich im Programm die Forderung nach freier, d.h. kostenloser und demokratisch organisierter Bildung.

Alles in allem handelt es sich also um klassische liberale Ansichten im modernisierten Gewand. Vieles bleibt dabei allerdings doch unklar. Einerseits soll die Rolle des Staates zurückgedrängt werden, andererseits sind beispielsweise zentrale infrastrukturelle Bereiche zu verstaatlichen, falls anders ein ungehinderter Zugang nicht gewährleistet werden kann. Statt wirklich konsequent für eine Abschaffung von Patentrecht oder Copyright zu plädieren, werden Kompromißlösungen gesucht, die sowohl die Interessen von Anbietern wie Konsumenten berücksichtigen. An sich durchaus bedenkenswert. Nur: Die ansatzweise Kritik an marktwirtschaftlichen Mechanismen, wie sie hier durchscheint, wird an anderer Stelle ersetzt durch eine offenbar wünschenswerte Förderung des „freie(n) Wettbewerb(s) zwischen den verschiedenen privaten Anbietern“. Manches ist also noch Stückwerk und nicht konsequent durchdacht. Das ist den Piraten wohl auch selbst klar; deshalb räumen sie auch freimütig ein, dass es sich hierbei lediglich um einen „Zwischenstand der Ausarbeitung“ handele. Was bei einer derart jungen Partei nicht weiter verwundern sollte. Allerdings bedarf es in absehbarer Zeit einer grundsätzlichen Entscheidung: strebt man kleinteilige Reformen an oder doch den großen Wurf einer gänzlichen Neufassung der genannten Bereiche?

Darüber hinaus erscheint die Fokussierung auf wenige Themen nachvollziehbar, aber zwiespältig. Einerseits gewinnt die Partei so ein klares Profil und erreicht mutmaßlich gerade jene sonst eher unpolitischen Gruppen, die gleichwohl klare Vorstellungen und Interessen in Bezug auf „ihre“ Sphäre Internet haben. Es ist vielleicht kein Zufall, dass die beiden letzten Parteichefs aus genau dieser internetaffinen Klientel der akademisch gebildeten Mittelschichten kommen. Es liegt aber auf der Hand, dass dauerhafte und breite Unterstützung so nicht erreicht werden kann. Denn natürlich müssen längerfristig auch Antworten auf andere, eher traditionelle Fragen gefunden werden. Sei es in der Wirtschafts-, Sozial- oder Außenpolitik. Es bleibt abzuwarten, wie man dieses Dilemma auflösen will.

Bündnisoptionen

Die programmatische Unentschlossenheit korrespondiert eng mit der Frage, wer denn bei einem - durchaus möglichen - zukünftigen Einzug in die Parlamente als Bündnispartner angestrebt wird. Die selbsterklärte „Bürgerrechtspartei“ weist offenkundige Parallelen zum klassischen politischen Liberalismus auf: Beschränkung des Staates, Betonung der Meinungsfreiheit und anderes mehr. Ob das auch für die finanz- und wirtschaftspolitischen Positionen der FDP gilt, ist noch offen. Gleichzeitig sind Ähnlichkeiten zur Entstehungsgeschichte der Grünen nicht von der Hand zu weisen. Sind doch auch sie einst als vielbelächelte Alternativtruppe zum Kampf gegen „die Etablierten“ angetreten. Und genau wie diese stehen die Piraten heute für einige wenige prägnante Themen. Die SPD dagegen hat sich bisher eindeitig distanziert. Ob aus vermeintlicher Selbstsicherheit oder nicht, sei dahingestellt. Die CDU als Partei von Wolfgang Schäuble und „Zensursula“ von der Leyen kommt als Partner mit Sicherheit auch längerfristig nicht in Frage. Gleichwohl rechnet der Vorsitzende Jens Seipenbusch eher mit einem langsamen Wachstum und nicht mit einem sofortigen Einzug in den Bundestag.

Perspektiven

Mittel- bis langfristig ergeben sich wohl drei denkbare Szenarien. Zum einen könnte die Verbreiterung der Politikfelder den bisherigen Konsens zerstören und so zu einem Bruch zwischen einem eher linken und einem eher marktwirtschaftlich orientierten Flügel führen. Das würde die junge Partei wohl kaum überleben. Zweitens möglich ist ein Kompromiss, der ergänzt würde durch gemäßigte Forderungen in anderen Bereichen und so zur dauerhaften Etablierung in großstädtischen und akademischen Milieus der Wissensgesellschaft führen würde. Die dritte Alternative läge in der partiellen Übernahme ihres Programms und ihrer Mitgliedschaft durch die bestehenden Parteien.

Gerade die Entstehung von Schwesterparteien in praktisch allen westlichen Ländern zeigt jedenfalls, dass die Piraten in der modernen Dienstleistungsgesellschaft ein durchaus nicht zu unterschätzendes Potenzial haben. Ob sie es realisieren können, steht freilich auf einem anderen Blatt. Viel hängt sicherlich von der Stärke der aktuellen Bürgerrechtsbewegung ab und davon, ob die Piraten diese für sich gewinnen können. So hat sich bei der diesjährigen Demonstration unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ erneut gezeigt, dass es sich um ein sehr breites Bündnis unterschiedlichster Gruppen handelt.