Magazin Beitrag

Digitaler Aufstand?

Die Möglichkeiten sozialer Netzwerke werden überschätzt, aber auch im Westen wird über Verbote nachgedacht
Beim "Marsch der Millionen" in Kairo
Beim "Marsch der Millionen" in Kairo Bild von Ahmad Hammoud

Ein Gespenst geistert durch die Welt: Soziale Netzwerke, man nennt sie Twitter oder Facebook, seien in der Lage, Aufruhr zu erzeugen und gar Regierungen zu stürzen. Tatsächlich ist die Kommunikation ein Schlüssel bei einem Aufstand gegen das bestehende Regierungssystem: Auf klassische Weise wurde früher zunächst das Telegraphenamt oder der Fernsehsender besetzt. Regierungen versuchen daher, die Kommunikation via soziale Netzwerke einzuschränken. Aber auch im Westen wird ein Verbot von sogenannten Facebook-Parties erwogen, ebenso wie die Einschränkung verschlüsselter Kurznachrichten-Dienste.

Ob im Iran oder in Nordafrika: Gern findet sich in den Medien die Behauptung wieder, Proteste und Demonstrationen würden fast ausschließlich über digitale Wege organisiert. Es ist gar die Rede von einer Facebook-Revolution. Dies darf zunächst einmal als Mythos bezeichnet werden. Bislang gibt es keine Belege dafür, daß die Proteste ohne die sozialen Netzwerke nicht genauso stattgefunden hätten. Vielmehr braucht Opposition in autoritären Staaten in erster Linie viel Mut und Frustration, damit viele Menschen bereit sind, sich den Repressalien der Sicherheitsbehörden auszuliefern, Folter und Tod zu riskieren.

Welche Kommunikationwege zur Verabredung dabei genommen werden, ist nicht immer leicht zu erforschen, da Anonymität und Geheimhaltung für die Sicherheit der Oppositionellen von höchster Wichtigkeit sind. Soziale Netzwerke stellen dabei für die Aktivisten durchaus eine Gefahr dar, da die Nachrichtendienste darin deren Strukturen relativ leicht verfolgen können. Selbst wenn sie nicht unbedingt an die Klarnamen kommen, sofern die Nutzer ausreichend Vorsicht walten lassen, können sie so einiges über die soziale Struktur ihrer Gegener herausfinden. Da das Netz erst in den vergangenen Jahren zu einem breitenwirksamen Medium entwickelt hat, rennen die Behörden der Entwicklung noch hinterher, das Potential durch Überwachung digitaler Medien ist jedoch enorm.

Zugleich ist der Zugang zum Internet sowie mobilen Kommunikationswegen nicht derart flächendeckend gegeben, wie westliche Medien dies gerne darstellen. Dies liegt allein schon daran, daß in vielen Staaten gar keine durchgehend verfügbare Stromversorgung vorhanden ist. Ebenso ist die Qualität der Netze je nach Land sehr unterschiedlich und moderne Geräte sind nicht für jeden erschwinglich. So kann man damit rechnen, daß die Verabredung über soziale Netzwerke zu Protestveranstaltungen nur dann eine Rolle spielt, wenn die Schwelle zum Massenprotest überschritten ist, in einem Land, welches über eine halbwegs akzeptable Infrastruktur verfügt. Zumeist handelt es sich um ein Medium der jungen Eliten, nicht der breiten Bevölkerung. Dass darüber hinaus digitale Kommunikation eine tragende Rolle für Proteste spielt, müsste erst noch belegt werden.

Neben der Koordinierung von Protesten besteht jedoch ein anderer wichtiger Faktor, in dem digitale Medien eine größere Rolle spielen: Die Dokumentation des Geschehens. So unterlaufen auf Kameras von Mobiltelefonen gedrehte Filmchen die Nachrichtensperre. Sowohl das Ausland als auch die Bevölkerung erhalten so ein äußerst selektives Bild der Lage. Dennoch enthalten Berichte und Filme Informationen, die mit Sicherheit nicht durchgehend gefälscht sind. Allerdings erschließt sich aus dieser Menge an Eindrücken kein schlüssiges Gesamtbild, da es an Analyse mangelt, durch welche sich der Zusammenhang erschließt und überprüft werden kann. Mit der Zeit mögen hier interessante Technologien wie »Crowdsourcing« entstehen, die die Überprüfung von Quellen ermöglichen. Dokumentation durch hochgeladene Filme auf Youtube dürften insofern für Proteste eine bedeutsamere Rolle spielen als soziale Netzwerke als Mittel zur Organisation.

Tatsächlich ist die digitale Kommunikation für Oppositionen in autoritären Staaten ebenso ein zwiespätiges Mittel wie auch für alle sozialen Bewegungen: Zu groß sind die Möglichkeiten der Überwachung. Der wirkliche Nutzen ist eher Zukunftsmusik. Denn End-zu-End-Verschlüsselung mit vollständiger Datenhoheit der Nutzer ist durchaus möglich. Verschlüsselte Nachrichten und Telefongespräche dürften den Behörden tatsächlich einige Kopfschmerzen bereiten. Noch aber sind diese Kommunikationskanäle eher eine Sache von Fachleuten und Freaks.

Dabei deutet sich eine erstaunliche Entwicklung an. Während die Medien und die Politik die Proteste und Revolutionen teils wohlwollend sehen wie in Ägypten oder gar feiern wie im Iran, werden die gleichen Technologien in westlichen Staaten durchaus als Gefahr gesehen. So dachten in Deutschland einige Innenminister laut über ein Verbot von Facebook-Parties nach, wohlwissend, daß dies kaum mit dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Einklang zu bringen wäre. In Großbritannien dagegen droht David Cameron mit dem Verbot der verschlüsselten Blackberry-Nachrichten, um damit in den Reigen autoritärer Staaten zu steigen, denen die geheimen, kaum zu überwachenden Nachrichten ebenso ein Dorn im Auge sind.

Sicherlich ist der Aufruhr in den englischen Städten und die Feierlaune deutscher Jugendlicher ein anderes Phänomen als die Aufstände im Nahen Osten. Dennoch sind Politiker hüben wie drüben alamiert, sobald sich eine technische Entwicklung auftut, welche sie nicht kontrollieren können. Die eigenwillige Doppelmoral, sich für den Segen der Technik in Kairo und Tunis zu begeistern, sie zugleich aber in Hamburg und London zu verdammen, versetzt aufmerksame Beobachter in Staunen. Dabei ist zunächst gleichgültig, für welche Art der Verabredung das Smartphone genutzt wird, schließlich interessiert dies die Datenleitung wenig. Wenn Technologien zur Kommunikation verboten oder überwacht werden, um Ausschreitungen zu verhindern, richten sich diese Bestrebungen morgen gegen Oppositionelle und soziale Bewegungen.

Wenn es in zehn Jahren breitenwirksame Verschlüsselungtechnologien sowie soziale Netzwerke geben wird, die nicht mehr zentral kontrolliert werden können, erst dann wird dies eine Auswirkung auf die Fähigkeit zur Mobilisierung politischer Gruppen haben. Dies setzt aber auch die technische Kompentenz der Anwender voraus. Staaten, ob demokratisch oder nicht, mögen versuchen, diese Entwicklung aufzuhalten. Doch häufig hat erst starke Repression zu Entwicklungsschüben geführt: verbietet man Napster, werden Torrents populär. Abhörsichere Kommunikation wird kommen, gerade wenn quelloffene Systeme aufgrund ihrer offensichtlichen Vorteile weiter an Boden gewinnen. Die Debatte um die Freiheit des Datenverkehrs wird uns noch lange beschäftigen, die technischen Möglichkeiten für Datensicherheit und Überwachung werden ihren eigenen Weg gehen.