Magazin Beitrag

Noch einmal Kommunismus

Ein Interview mit Slavoj Žižek

Der Titel der Konferenz “Idee des Kommunismus“, die vom 25. bis 27. Juni in Berlin stattfand, signalisierte den Versuch, eine Diskussion über den Kommunismus erneut anzustoßen, ein gewisses Insistieren, dass etwas aus den Ruinen jener Experimente zu retten sei, die unter diesem Namen so offensichtlich gescheitert sind. Als die Volksbühne, der Ort der Veranstaltung, schon wieder umdekoriert wurde und die letzten Konferenzteilnehmer längst gegangen waren, trafen sich SAMI KHATIB, JAN ROLLETSCHEK und BENEDIKT WAHNER zu einem Gespräch mit dem Philosophen und Psychoanalytiker SLAVOJ ŽIŽEK, der die Konferenz zusammen mit Alain Badiou instigiert hatte.

Mit Dank an das Neue Deutschland, wo das unterstehende Interview am 31. Juli 2010 erstmals erschienen ist, machen wir es an dieser Stelle in einer ausführlicheren Fassung nochmals verfügbar.


Herr Žižek, warum sollten wir den „Kommunismus“ – die Idee, das historische Phänomen – heute erneut in Betracht ziehen, während die meisten Leute sich doch einig sein dürften, dass der Fall abgeschlossen ist?

Als Hegelianer behaupte ich, dass der Moment des Sieges immer auch der Moment der Niederlage ist, in genau diesem Sinn: Wenn eine bestimmte Tendenz obsiegt, entfaltet sie ihre Widersprüche und zerfällt. Und ich denke, genau dies ist mit dem Kapitalismus geschehen. Es schien als hätte er gesiegt. Die 90er Jahre waren die fröhliche Fukuyama-Ära: „Oh, wir sind angekommen!“ und so weiter. Wenn jedoch das erste Jahrzehnt dieses Jahrtausends eine Bedeutung hat, dann ist es eben jene, dass wir nicht am „Ende der Geschichte“ sind; neue Antagonismen bilden sich heraus. Mit anderen Worten: Ich denke, es gibt genügend Antagonismen, um zu behaupten, dass das System als solches – und Ich denke hier nicht nur an einzuschränkende Exzesse, sondern die fundamentale Struktur des Systems – ich denke also, dass es diesen Antagonismen nicht begegnen, dass es sie nicht lösen kann. Und da alle diese Antagonismen im Grunde nichtsdestotrotz die alten kapitalistischen Antagonismen sind, die auf neue Weise explodieren, und da all diese Antagonismen – ich habe sie in meinen Büchern aufgezählt – das betreffen, was ich unsere „Commons“, unser Gemeinsames, nenne, gehe ich bewusst das Risiko ein und benutze den Begriff des „Kommunismus“. Viele meiner Freunde sagen mir natürlich das Offensichtliche: „Warum musst du dieses dämonisierte, dieses so diskreditierte Wort benutzen?“

Ich denke es lohnt sich noch aus einem weiteren Grund. Nehmen wir die Debatte über Solidarność heute morgen. Das ist für mich das ultimative Paradox: wie die legendärste, organisierteste anti-kommunistische Bewegung in ihrer Organisation, ihren unmittelbaren Zielen und so weiter, in gewisser Weise kommunistischer war, als das Regime, dem sie gegenüber stand. Ich denke, das ist heute die Situation. Oder wie Alain Badiou es ausdrückt, den ich heute zitierte: „Das Übel (evil) tanzt auf den Ruinen des vorangegangenen Übels.“ In anderen Worten: Ja, der Kommunismus hat verloren, der Kapitalismus hat gewonnen, aber alle Probleme bestehen weiter und der einzige Weg, den ich sehe, ist es, wieder vom Null-Punkt zu beginnen, aber vom Null-Punkt im Kommunismus.

Meinen Sie, was die Linke heute benötigt, könnte – um eine religiöse Metapher zu gebrauchen – eine ernsthafte “missionarische” Anstrengung sein? Werden die Erkenntnisse der Linken nicht gar falsch, gerade in dem Moment, da sie diese zu ihren Privaterkenntnissen verkommen lässt?

Ich stimme Ihnen zu, aber der springende Punkt ist, wie dies zu erreichen wäre. Ich würde sagen: Okay, wir brauchen eine große „missionarische“ Bewegung. Aber das entscheidende Problem ist, dass die gesamte herrschende Ideologie gegen uns ist. Warum? Die gesamte herrschende Ideologie ist nicht nur gegen das, was wir als unsere Mission erachten würden, sondern gegen das Prinzip der Mission als solches. Deshalb erwähnte ich gestern das Problem des Zynismus. Was ist Ideologie heute? Hier hat Badiou Recht: Sie ist „weltlos“. Sie ist keine „Weltanschauung“, sondern eine Art generalisierter, spiritualisierter Hedonismus, eine Mischung aus dem Dalai Lama: „Sei du selbst, sei was du wahrhaft bist, du wirst definieren, was du bist, genieße, aber mit Finesse!“ und Judith Butler: „Rekonstruiere dich selbst, nimm keine feste Identität an!“ und so weiter.

Wir stehen immer wieder vor dem selben Schlüsselproblem: Wir, die Linke, kritisieren das heutige Geschehen aus der Perspektive eines Sollens, eines Ideals. …

Sie sagen selbst, und identifizieren es als ein Problem, dass es heute kein überzeugendes Gegenprojekt gibt, mit dem die Linke aufwarten könnte.

Ja, hier bin ich ein ziemlicher Pessimist. Manche Kritiker benehmen sich, als wären all die Kompromisse und liberalen Alternativen der Grund, warum die radikale Linke versagt hat. Ich behaupte, es ist genau anders herum. Die Linke hat in sich selbst versagt und diese liberalen Kompromisse sind „Ersatz-Phänomene“, um die Lücken zu stopfen. Die Krise ist also viel tiefer. Und das ist es, was ich mit meinen, ich weiß, langweiligen und repetitiven Interventionen während der Konferenz sagen wollte: Machen wir es uns nicht zu leicht. Ich mochte diese Präsentationen nicht, bei denen sie alle mit irgend einer triumphalen Formel geendet haben, wissen Sie? Verdammt! Okay, das ist schöne Poesie: „Wir hier beginnen bereits.“ Scheiß drauf, die Linke beginnt so seit 50 Jahren! Und sie beginnt erst. Wissen Sie, die Illusion des Beginnens bedeutet, dass man sich fragt: Was, wir beginnen, und was dann? In zehn Jahren haben wir eine große Party! Nein, wahrscheinlich werden wir wieder und wieder beginnen, das ist das Problem. Und ich denke, um das Problem zu lösen, müssen wird diese schwierigere, pragmatischere Frage stellen: Was sind die Lücken und Inkonsistenzen der Realität, der sozialen Wirklichkeit, die einen Raum für ein kommunistisches Engagement eröffnen. Und mein Problem mit Badiou ist, dass er dies nicht wirklich in Angriff nimmt.

Aber stößt nicht Badiou, gerade gegenüber der heutigen Ideologie, wie Sie sie beschrieben haben, in eine solche Lücke, indem er etwa der „Treue zur Wahrheit“ oder der „Idee des Kommunismus“ wieder Gewicht verleiht?

Badiou kann vom Kommunismus reden, wie er es hier getan hat, aber wenn Sie sein Werk kennen, ist doch das Erste, was ins Auge fällt, die völlige, und ich meine wirklich völlige, Abwesenheit der Kritik der politischen Ökonomie. Dies charakterisiert all diese, nennen wir sie, neuen französischen Linken, halb kommunistische politische Philosophen: Badiou, Rancière, Balibar und sogar bis zu einem gewissen Punkt Ernesto Laclau. Es ist zwar Antikapitalismus, aber für Badiou verschwindet diese Dimension einfach. Die Ökonomie ist für ihn ganz Teil dessen, was er so geringschätzig die „animalische Dimension“ nennt: bloßes, utilitaristisches Überleben, und dann kommt die Gnade der Subjektivierung, das „Ereignis“ und so weiter. Hier bleibe ich mit Negri Marxist. Mein Punkt ist, dass es absolut zentral ist, die Kritik der politischen Ökonomie – kritisch  natürlich – zu rehabilitieren, wenn wir heute den globalen Kapitalismus bekämpfen wollen.

Mit Badiou, aber auch mit Simon Critchley, führen Sie eine Diskussion bezüglich deren jeweiliger Vorstellung von Politik in Distanz zum Staat. Sie hingegen scheinen den Staat in nicht-staatlicher Weise gebrauchen, ihn auf die eine oder andere Weise gegen sich selbst wenden und eine Distanz zum Staat im Staat einnehmen zu wollen. Ließe sich ihrer Meinung nach behaupten, dass die Opposition von parteimäßiger und nicht parteimäßiger Organisation in der Tat eine falsche ist, während die relevante „Partei“ – um noch einmal auf eine religiöse Metapher zurückzugreifen – heute eine „pneumatische“, eine ideelle Angelegenheit wäre, die sich nicht mit der einen oder anderen organisatorischen Position identifizieren lässt? Wäre nicht dies eventuell auch die angemessenere Bedeutung eines „Endes des staatsparteilichen Paradigmas“, von dem Badiou spricht?

Parteilich, außerparteilich, das hat mich nie sehr interessiert. Das ist Badious Thema, ich bin hier weit ambivalenter (ambiguous). Ich würde die Parteiform nicht so schnell fallen lassen. Ich denke noch stets und akzeptiere also vollauf dieses hegelianische Paradox, dass man, wenn man eine Politik der Universalität möchte, eine „Partei“ braucht, die paradoxer Weise ein Teil ist, der beansprucht: Im Gegensatz zu euch und euch, die ihr für das Partikulare steht, stehen wir für das Universale. Ich denke, das ist notwendig. Für mich ist das ein ganz und gar pragmatisches Problem: Wir machen was wir wollen, und was besser funktioniert! Das ist doch der schlimmste Teil der Linken: anstatt es pragmatischen Entscheidungen zu überlassen, verwickelt man sie in endlose Diskussionen darüber, ob man sich in der Partei oder außerhalb der Partei zu organisieren habe. Schauen Sie sich etwa Evo Morales an. Der hat so eine Art Partei, um Wahlen zu gewinnen und gleichzeitig hat er all diese indigenen Organisationen.

Was Sie in einigen Ihrer Bücher zu sagen scheinen, ist, dass der revolutionäre Prozess, der tatsächlich eine völlig neue soziale Form heraufbringen könnte, wesentlich unterschieden sein müsste von den internen Revolutionen und Erneuerungen des Kapitalismus. Anders als noch im Feudalismus steht im Zentrum des Kapitalismus die Notwendigkeit einer ständigen Revolution aller Produktionsmittel und –verhältnisse. Wenn diese Observation zutrifft, was könnten einige Unterscheidungskriterien einer bestimmt anti-kapitalistischen Revolution oder Rekonfiguration der sozio-ökonomischen Formation sein?

Ich werde Ihnen eine sehr einfache Antwort geben. Vielleicht kennen Sie dieses wundervolle dialektische Sprichwort: „Alles muss sich ändern, damit es so bleibt wie es ist.“ Ich denke, dass die Selbstrevolutionierung des Kapitalismus auf dieser Ebene stattfindet: Die Dinge müssen sich fortwährend verändern, damit im Grunde alles beim Alten bleiben kann. Wissen Sie, ich hasse Godard. Er ist pretentiös, langweilig und so weiter, aber einmal hat er etwas Nettes gesagt, das dieses Sprichwort umdreht: „Verändere nichts, damit alles anders sein wird.“ Die wahre Veränderung wäre nicht, dass die Dinge sichmehr als im Kapitalismus verändern. Vielmehr geht es darum, den Modus der Veränderung selbst zu ändern. Da die Art, wie die Dinge sich ständig verändern, garantiert, dass sich nichts wirklich ändert, kann es mitunter die größte Veränderung sein, nichts zu tun. Ich nenne das ironisch meine Bartleby-Politik.

Wir befinden uns in einem historischen Moment, da der Kapitalismus sich gerne als die neutrale Oberfläche sähe, auf der die Differenzen verteilt sind. Könnte es daher gerade die Überwindung des Kapitalismus sein, die alleine in adequater Weise unseren Ehrgeiz zu beschäftigen vermag, eine Art großer Endgegner, abgesehen vielleicht vom politischen Islam?

Ja vielleicht; andererseits sollte deutlich sein, dass ich nicht, wie die Leute meinen, dieser Ansicht bin, der Negri mich gerne beschuldigt: diese Vorstellung einer hegelianischen Totalität, wo alles immer schon vereinnahmt ist. Nein, was das Großartige am Kapitalismus ist, großartig im Sinn, dass er uns trotz allem eine Chance gibt, ist, dass er zutiefst inkonsistent ist und kein solches völlig stabiles (consistent) System. Übrigens sollte man dies auch stets vorbringen, wenn jemand den Neoliberalismus attackiert, nach der Art: „Nein, wir können nicht alles dem Markt überlassen.“ Aber wer behauptet denn, dass es so sei. Vielleicht die Ideologie. Der heutige Kapitalismus ist regulierter denn je. Wissen Sie in welchem Ausmaß zum Beispiel die USA ihre eigenen Bauern unterstützen, wie sehr sie genau das tun, was sie anderen absprechen, ihren Export bezuschussen etwa? Nochmals, wenn wir den Kapitalismus bekämpfen, bekämpfen wir kein monolithisches Monster, sondern ein System voller Widersprüche. Und hier haben wir eine gewisse Öffnung, um zu handeln.

Am Ende der Konferenz wurden Sie gefragt, warum so wenige Frauen unter den SprecherInnen  waren. Da sagten Sie, dass etwa Judith Butler ihre Teilnahme abgelehnt hätte, weil Sie nicht mit dem Begriff des Kommunismus assoziiert werden wollte.

Wissen Sie, für sie geht es im Grunde um das typische Problem marginaler Minoritätenstimmen: „Wir bewegen uns im hegemonialen Raum, aber sind wir bereit, all die unterdrückten marginalen Stimmen zu hören?“ Das ist zum Beispiel ihre Lesart von „Antigone“: Nicht nur ist sie die Tochter des Ödipus, sondern sie spricht zugleich auch für all jene, deren Stimme wir nicht hören. Anders gesagt: Judith ist für mich das perfekte Beispiel für die Logik dessen, was Saroj Giri gestern als einen „demokratischen Antikapitalismus“ beschrieb: „Ooooh, einige sind deprivilegiert. Lasst sie uns hinein holen!” und so weiter. Das ist mein Problem mit ihr; und hier bleibt ihr grundlegendes Bezugssystem liberal. Das ist für mich das typisch liberale Problem der minoritären Stimmen: „Können wir unsere Arme weit genug machen?“

Sind es in einer solchen Situation aber nicht, nun, in Butlers Sinn die Ausgeschlossenen, der Anteil der Anteillosen, die für das Universale, für die Menschheit als solche stehen?

Das ist ein guter Einwand, aber was sie nicht akzeptiert, ist eben meine hegelianische Wendung des Problems , dass dieser Anteil der Anteillosen das Universale verkörpert. Sie vertritt diese typische postmodern liberale Ansicht – ich meine sie ist nicht blöd, ich formuliere es nur so, und persönlich unterhalte ich sehr gute Beziehungen mit ihr –, diese Ansicht also, dass wir verstreute Partikularitäten sind und jede Universalität, wenn sie zu unmittelbar behauptet wird, unterdrückerisch ist: „Universalität ist niemals gegeben, sondern es geht um einen langen Prozess ihrer Etablierung.“

Ihr Antiliberalismus hat Ihnen viele Anfeindungen eingetragen. Wäre nicht, eingedenk historischer Erfahrungen – insbesondere der brutalen Reaktionen auf emanzipatorische Kämpfe und des Abirrens von einmal guten Intentionen –, an der gegenwärtigen parlamentarischen Demokratie, zumindest als einer Verteidigungslinie, wenn schon nicht als letztem Horizont, festzuhalten? Was, denken Sie, läuft schief mit der Demokratie, wie wir sie kennen?

Ich habe nichts gegen die Demokratie. Ein Paradox riskierend, kann ich nur sagen, dass die Demokratie nicht demokratisch genug ist. Sie ist inkonsistent. Zunächst folgendes. Ich habe es in meinem letzten Buch entwickelt, nein davor: „Erst als Tragödie, dann als Farce“. Wie funktioniert die Demokratie heute de facto, was ist das demokratische Mysterium? Ich zitiere hier den amerikanischen Journalisten Walter Lippman, die liberal-konservative Legende. Wissen Sie, er hat den Begriff der „Herstellung von Konsens“ zuerst benutzt, aber im positiven Sinn, Noam Chomsky hat ihn aufgegriffen. Machen wir es kurz: „Die Leute sind blöd. Sie wissen nicht was sie wollen. Die Pflicht der Elite ist es, herauszufinden, was die Leute wirklich wollen sollten, um es ihnen dann, verpackt als ihren eigenen Willen, zu verkaufen.“ Lippmans Theorie ist also – und ich denke sie ist großartig – , dass die Leute nicht entscheiden wollen. Sie wollen die Form einer Entscheidung, aber sie wollen klar gesagt bekommen, was sie wählen sollen. Die Krise der Demokratie haben wir dann, wenn die Leute wirklich in einer Situation sind, in der sie keine klare Botschaft bekommen, was sie wählen sollen. Lassen wir das!

Was ich gestern kurz entwickelte, als ich mich implizit auf Claude Lefort bezog – ich wollte den Namen nicht aussprechen, sonst wäre Badiou explodiert, und ich habe schon genug Probleme mit ihm – ist, dass es einen wunderbaren Kern der Demokratie gibt. Das wirkliche Wunder der Demokratie, denke ich, ist es, in gewisser Weise Terror in eine neue positive Form zu transponieren. Denn es gibt Demokratie nur nach dem Terror, im symbolischen Sinn. Der ganze Sinn des Terrors, ich meine des egalitären Terrors, ist es, all jene einen Kopf kürzer zu machen, die so tun, als hätten sie das Recht, zu herrschen. Wissen Sie, niemand sollte höher stehen. In der Demokratie wird dies dann institutionalisiert. Lefort hat das sehr schön entwickelt. Das grundlegende Prinzip der Demokratie ist, dass niemand das Recht hat, zu herrschen, weder aufgrund der Behauptung, dass er oder sie die Interessen der Leute vertritt, noch dass er auf natürliche Weise auserkoren ist, noch dass er ein Spezialist ist; es funktioniert nicht. Das heißt, was in vorangegangenen Ordnungen das Problem war: der Thron ist leer und Panik bricht aus, wird in der Demokratie zur Lösung: man akzeptiert, dass es niemanden gibt, der legitimer Weise herrschen dürfte.

Man nimmt gelegentlich Anstoß an Ihrer Vorstellung eines unbegründeten und selbst gründenden „Akt-Ereignisses“. Ihren Kritikern gilt es regelmäßig als willkürlich oder terroristisch.

Ist Ihnen einmal aufgefallen, wie bescheiden meine Beispiele des „Akts“ wirklich sind? Ich zitiere das Ende eines Romans, eine Geste in einem Film. Es geht mir nicht um irgend einen absoluten, metaphysischen Akt. Es geht mir um die sehr einfache Behauptung, dass ein Akt etwas ist, das nicht in gewöhnlicher Weise „möglich“ ist, keine strategische Kalkulation. In gewissem Sinn machen Sie eine riskante Geste, die rückwirkend ihre eigenen Voraussetzungen schafft. Mein großes Beispiel ist, was Jorge Luis Borges, den ich ansonsten nicht mag, über Kafka sagt. Er sagt: „Gewöhnliche Schriftsteller haben ihre Vorläufer, ein wirklich großer Künstler erschafft seine Vorläufer“. Natürlich können wir sagen, man findet bereits Spuren von Kafka in Edgar Alan Poe, Dostojewsky, William Blake und so weiter, aber wir können dies nur sagen, sobald Kafka erschienen ist. 

Es ist etwas, das sogar intuitiv verständlich ist. Nehmen wir ein sehr privates Beispiel, sagen wir, Sie sind in einer persönlichen Situation mit Ihrem Partner, Freunden, wie auch immer. Eine ausweglose Situation. Und dann, auf einmal, macht jemand die richtige Bemerkung und die gesamte Situation erscheint in einem völlig anderen Licht, die Zwickmühle zerfällt, die Lösung ist offensichtlich. Das ist ein Akt!

Es gibt in Ihren Büchern auch andere paradoxe Formulierungen, die in diese Richtung, der Möglichkeit des Unmöglichen, weisen. Sie sagen, es gehe heute darum, „gegen die historische Notwendigkeit zu handeln“, darum “sein Schicksal zu ändern”. Wie ist das zu verstehen?

Der gesamte Protestantismus dreht sich um nichts anderes. Wissen sie, Frederic Jameson hat mir diese Idee zugetragen, eine wunderbare Idee. Er sagte mir: „Wenn es eine theologische Vorstellung gibt, die für den historischen Materialismus von Nutzen sein kann, dann ist es die Vorstellung der Prädestination.“ Und dann lenkte er meine Aufmerksamkeit auf diese wunderbare Tatsache. Wir kennen alle die Gemeinplätze: Der Katholizismus ist eher mittelalterlich, der Protestantismus ist die Religion des Kapitalismus. Aber halt! Wenn es etwas gibt, das den Kapitalismus auszeichnet, dann doch, dass er eine unglaubliche Aktivität auslöst. Wie geht das aber mit der Vorsehung im Protestantismus zusammen? Wenn alles vorherbestimmt ist, wäre es dann nicht logisch zu sagen, ich bleibe zuhause und masturbiere und schaue mir schmutzige Filme an, oder was auch immer? Was kümmert es mich, wenn doch alles schon entschieden ist? Nun, der Kniff ist die zeitliche Dimension. Alles ist entschieden, aber Sie wissen nicht, was die Entscheidung ist. Für mich ist das in mystifizierter Form nichts anderes, als zu sagen, „es gibt Schicksal“, aber im selben Sinn wie T. S. Elliot – was soll’s, ein großer Konservativer – sagt: „Jede neue, großartige Tat (act) erschafft die Vergangenheit neu.“ Es ist immer eine rückwirkende Sache. Natürlich spreche ich nicht von Magie, nicht davon die reale Vergangenheit zu verändern. Es geht eher um die Ebene dessen, was Badiou „Symbolisation“ genannt hätte, die Konstruktion eines Narrativs. Erst dadurch, dass Sie etwas tun, konstruieren Sie retroaktiv dessen Notwendigkeit. Notwendigkeit ist das Resultat eines zufälligen (contingent) Prozesses.

Dies ist auch der Grund ­– jetzt werden Sie sagen, dass ich träume, aber ich träume nicht – warum Hegel für mich materialistischer ist als Marx. Was ist Marxens Vorstellung des Kommunismus? Dass es Situationen gibt, in denen ein historisches Subjekt, wie etwa die Arbeiterklasse, die Logik der Geschichte ergreifen und, wie soll ich sagen, auf der Grundlage dieses Wissens handeln kann. Als wenn Sie wissen, was Ihre historische Aufgabe ist, und Sie erfüllen sie eben. Das ist für Hegel völlig unvorstellbar. Deshalb können wir uns, für Hegel, auch nicht entlang des dialektischen Prozesses in die Zukunft bewegen. Warum meinen Sie, fliegt die Eule der Minerva erst am Abend? Wenn die Substanz auch das Subjekt ist, ist die einzige konsequente hegelianische Antwort, dass die Dinge “in der Sache selbst” noch nicht entschieden sind.

Aus dem Englischen von Jan Rolletschek.

Kommentare

Denkfehler Sozialismus

»Aus dem offenkundigen Versagen des historischen Liberalismus erwuchs die sozialistische Bewegung mit dem Ziel, die missbrauchten Freiheitsrechte einzuschränken zugunsten der Gesamtheit und besonders zugunsten der wirtschaftlich Schwachen. Diese Zielsetzung beruht jedoch auf einem Denkfehler; denn der historische Liberalismus versagte nicht, weil er zuviel, sondern weil er zuwenig Freiheit verwirklichte.«

Dr. Ernst Winkler (»Theorie der Natürlichen Wirtschaftsordnung«, 1952)

Mehr gibt es zum »Denkfehler Sozialismus« nicht zu sagen.

http://www.deweles.de/files/nwo_politisch.pdf

Übersetzung aus dem Englischen xD

»In zehn Jahren haben wir eine große Party! « - Ich vermute mal Zizek meinte eine große Partei.

…ich denke er meinte

…ich denke er meinte womöglich tatsächlich eine große party [kontext im kontext].